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Fördern und Fordern – Die Zweigleisigkeit des Sozialstaats

Das Prinzip des Förderns und Forderns, das als Motto der Hartz IV-Gesetzgebung Eingang in die Alltagsrhetorik gefunden hat, ist vom Grundsatz her ein Ausgleich sozialstaatlicher und (bürgerlich-) freiheitlicher Maximen. Sozialstaat bedeutet immer, den Mühseligen und Beladenen etwas von ihrer Last zu nehmen. Und Lasten abnehmen können nur die, die stark genug sind. Freiheit im bürgerlichen Sinne bedeutet immer auch, vor unfreiwilligen Lasten zu bewahren.

Hilfebedüftig ist – abstrakt gesehen -, wer nicht genug hat, um ein menschenwürdiges Dasein zu führen, sei es, weil er nicht genug leisten kann, sei es, weil er nicht genug leisten will, um sich die notwendigen Mittel zu erwirtschaften. Für die Unfähigkeit, ausreichend zu leisten, kann es im Grunde zwei Gründe geben: miserable Umstände oder miserable Fähigkeiten. Mangelnder Willen, ausreichend zu leisten, kann auf kalkulierter Entscheidung beruhen oder auf der Unfähigkeit, den Willen zu entwickeln, ausreichend zu leisten. Schlimmstenfalls trifft beides zusammen: Mangelnde Leistungsfähigkeit und mangelnder Willen.

Den Hilfebedürftigen etwas von ihrer Last abnehmen kann, wer mehr hat, als er braucht. Um den Leistungsfähigen nicht zu demotivieren, muss man ihm natürlich mehr lassen, als dem, den er unterstützt. Anderenfalls könnte der Leistungsfähige gleich aufhören zu leisten und das ganze System bräche zusammen.

Nun erscheint es aber in bestimmten Fällen ungerecht, dass der Leistungsfähige den Hilfebedürftigen unterstützt. Das ist zunächst dann der Fall, wenn der Hilfebedürftige lediglich nicht leisten will, weil er sich dafür entschieden hat, obwohl er sich anders entscheiden könnte. In solchen Fällen gibt es schlichtweg keinen Grund zu fördern. Leider liegen die Dinge oft nicht so einfach: Oftmals beruht das, was als bloßes Nichtwollen wahrgenommen wird, auf der Unfähigkeit zu wollen, etwa aufgrund von Sozialisationsdefiziten oder aufgrund von Persönlichkeitsstörungen. Da eine solche Person nicht leistungsfähig ist, muss sie Hilfe erhalten – und zwar nicht nur zur Sicherung des für ein menschenwürdiges Dasein notwendigen Bedarfs, sondern auch durch Unterstützung dazu, einen ausreichenden Leistungswillen zu entwickeln, damit die Hilfebedürftigkeit in Zukunft entfällt und der Helfer entlastet wird. Entsprechende zumutbare Anstrengungen des Hilfebedürftigen können auch eingefordert werden. Mit welchen Mitteln, soll hier nicht thematisiert werden.

Im Übrigen erscheint es grundsätzlich nicht ungerecht, dass der Leistungsfähige den unterstützt, der nicht leisten kann. Anders liegt es, wenn dieser nicht daran arbeitet, seine Leistungsfähigkeit herzustellen, z.B. durch Aus- oder Fortbildung, obwohl er dies könnte. Die Möglichkeit der Herstellung der Leistungsfähigkeit zu fördern und zu fordern, liegt im Interesse der Leistungsfähigen, weil im Erfolgsfalle die Hilfe entfällt und sie entlastet werden. Sind die Umstände in der Art und Weise miserabel, dass der Hilfebedürftige – auch nach Aus- und Fortbildungsmaßnahmen – nicht leisten kann, kann nur gefördert und nicht gefordert werden.

Die notwendige Feinabstimmung, wann jemand leistungsfähig und umgekehrt jemand hilfebedürftig ist, ist schwierig. Offen bleibt hier auch, warum die Leistungsfähigen den Mühseligen und Beladenen etwas von ihrer Last nehmen sollen. Einstweilen genügt es, zur Bewertung sozial relevanter Rechtsänderungen diese einfachen, aber grundlegenden Zusammenhänge von sozialstaatlicher Unterstützung und bürgerlicher Freiheit als Werkzeug für die rechtspolitische Analyse bereit zu halten.

29.4.2012

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