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Fischer im Recht

 

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Fischer im Recht.

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Der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer ist der wohl bekannteste Strafrichter Deutschlands. Er ist Autor eines Standardkommentars zum Strafgesetzbuch. Er scheut keine öffentlichen Auftritte und keine drastischen Worte. Gleichzeitig ist er einer der umstrittensten Richter Deutschlands. Die FAZ titelte jüngst „Immer nur um Fischer – Wie „Deutschlands bekanntester Strafrichter“ seine Arbeit macht. Oder auch nicht.“ Und dieser Richter schreibt seit dem 13. Januar 2015 auf ZEIT online eine wöchentliche Kolumne. Eine Auswahl von Texten aus dieser Kolumne veröffentlichte Fischer jüngst auch in Buchform unter dem selbstbewussten Titel: Im Recht – Einlassungen von Deutschlands bekanntestem Strafrichter.

In seiner ersten Kolumne „Fischer im Recht – Der Beginn“ beschreibt Fischer, was er mit seinen Kolumnen bezweckt: Aufklärung, Belehrung und Kritik über Recht, seine „Voraussetzungen und Bedingungen, Formen und Begründungen, Bedeutungen und Ziele, Wege und Wirkungen“. Die Kolumne will Sachkunde vermitteln. Gegen ziellose und dumpfe Empörung über Recht und Justiz setzt Herr Fischer das Credo, „dass man über Regeln und ihre Voraussetzungen nur schimpfen darf, wenn man sich zuvor Mühe gibt, ihren Sinn zu verstehen“. Auf die Frage, ob „ein Bundesrichter eine öffentliche Kolumne über die Bedeutung und die praktische Verwirklichung des Rechts schreiben“ darf, antwortet Fischer: „Es kommt darauf an, die Rolle des Rechts und die Verantwortung derjenigen zu verstehen, denen es, nach den Worten des Grundgesetzes, “anvertraut” ist“. Fischer wendet sich nicht nur gegen einseitige Angriffe gegen die Justiz von außen, sondern auch „gegen Verteidiger einer bräsigen Selbstgenügsamkeit von innen“.

Das ist ein honoriges Programm. Wer sonst könnte besser Justiz und richterliche Rechtsanwendung erklären, als die Richter selbst? Dass Richter nur durch ihre Urteile sprechen sollen, ist ein Dogma, das eines demokratischen Rechtssystems nicht würdig ist. Wollen Gerichte Aufklärungen über ihre Arbeit lieber Journalisten überlassen? Im Übrigen wird dieses Dogma der Wirklichkeit nicht gerecht, denn Richter stellen sich sehr wohl der Diskussion in der juristischen Fachöffentlichkeit. Nicht aber stellen sie sich der Diskussion in der allgemeinen Öffentlichkeit. Ein Grund dafür ist sicherlich auch, dass Richter glauben, die Rechtsanwendung in ihrer Komplexität der juristischen Laienöffentlichkeit nicht vermitteln zu können. Ob das ein Irrglaube ist, kann nur der ernsthafte Versuch zeigen. Und genauso einen Versuch hat Fischer mit seiner Kolumne unternommen. Die Themenvielfalt ist erstaunlich, beschränkt sich aber auf das Strafrechtliche: Terroristen, lebenslange Freiheitsstrafe, Sexualstrafrecht, Straßenverkehrsrecht, Schuld, Sühne  und Wahnsinn, Versuch und Vollendung, Fehler in der Strafjustiz und vieles mehr.

Ist „Fischer im Recht“ nun ein gelungenes Beispiel dafür, dass die juristische Laienöffentlichkeit über Recht aufgeklärt werden kann? Sie erhalten eine typische Juristenantwort: Zum Teil ja. Zum Teil nein.

Fischers Kolumnen erklären streckenweise Recht und Rechtsanwendung auf hohem Niveau und auch dem juristisch nicht vorgebildeten Laien verständlich. Das gilt insbesondere dann, wenn Fischer hart am Gesetzestext arbeitet. Lesen Sie mal die Kolumne Versuch und Vollendungen! Im „belehrenden Teil“ finden Sie wunderbar eingängige Erläuterungen zu strafrechtsdogmatischen Fragen, die manchen Jurastudenten zur Verzweiflung bringen. Die Lektüre solcher Erläuterungen kann Spaß machen, zumal sie Fischer mit viel Ironie und Anschauungsmaterial würzt.

Wenn Sie die Kolumne Versuch und Vollendungen – wie man das gewöhnlich so macht: – vom Anfang bis zum Ende lesen, werden Sie merken, dass Fischer nicht gleich zum Thema kommt. Vielmehr hat er es sich zur Angewohnheit gemacht, ein oder zwei aktuelle Themen aufzuspießen, die mit dem eigentlichen Thema der Kolumne nichts zu tun haben. Das ist ärgerlich: Welcher Leser will denn durch eine Überschrift dermaßen irregeführt werden? Das ist so, als ob man einem Krimi noch eine Gebrauchsanleitung für einen Brotbackautomat voranstellen wollte. Besser wäre es, wenn Fischer seinen Aktualitäten eigenständige Kolumnen widmen würde. Dann würde es sich halt um eine halbwöchig erscheinende Kolumne handeln.

Dass Fischer seine Divergenzen mit anderen Richtern am Bundesgerichtshof über seine Kolumne austrägt, mag man interessant finden, entspricht aber manchmal nicht dem selbst formulierten Anspruch Fischers: „Diese Kolumne soll kein Ort sein für die unendlichen Rechthabereien des Alltags“. Schlimmer jedoch ist, dass Fischer mit all seiner Sprachgewalt streckenweise an den Leser sehr hohe Anforderungen stellt. Fischer überlässt seine eigentliche Botschaft oft den Assoziationen des Lesers. Vielleicht zielt er auf ein Publikum höheren intellektuellen Niveaus. Aber hat nicht auch das einfache Volk es verdient, über Recht und Rechtsanwendung aufgeklärt zu werden? Dort, wo Fischer Kritik übt- und das kommt nicht selten vor – formuliert er oft mit so ätzender Schärfe und so beißender Ironie, dass sich sensiblere Seelen vom Text abwenden, und manchmal überschreitet er auch die Grenze zur unsachlichen Respektlosigkeit – mag die Kritik auch inhaltlich noch so berechtigt sein. Man merkt: Es schreibt jemand, der den Rechtsstaat und intellektuelle Redlichkeit sehr ernst nimmt. Damit verträgt sich heitere Ironie wohl nicht …

Wie auch immer: Der Anfang richterlicher Aufklärung über Mechanismen des Rechts ist gemacht. Wie schrieb doch Fischer in seiner ersten Kolumne? “Weil das Meer des Rechts tief und dunkel und die Mittel zu seiner Erkundung begrenzt sind, ist jeder Fischzug zunächst nur ein Versuch.” Bleibt zu hoffen, dass andere Richter dem Weg dieses Fischers folgen.

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