Im Beitrag Willkommen im Ausländerrecht! Teil VI: Der Aufenthaltstitel – Übersicht, Begriff, Rechtsnatur und Arten haben Sie gesehen, dass ein Ausländer für Einreise und Aufenthalt grundsätzlich eines Aufenthaltstitels bedarf. Aber ein deutsches Gesetz wäre kein deutsches Gesetz, würde es keine Ausnahmen machen.
- 4 Abs. 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) formuliert:
„Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels,
- sofern nicht durch Recht der Europäischen Union
- oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist
- oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht.“
Die Aufzählungszeichen stehen nicht im Gesetz, sie sollen hier nur die Ausnahmen verdeutlichen. Und jetzt zur Regel Nr. 2 über deutsche Gesetze: Ein Gesetz wäre kein deutsches Gesetz, enthielte es einen Katalog von Ausnahmen, der vollständig wäre.
Recht der Europäischen Union
Zunächst aber zu der in § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erwähnten Aufenthaltstitelfreiheit aufgrund Europarechts. Erstaunlicherweise beansprucht § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf den Anwendungsfall, von dem man annehmen würde, er wäre der häufigste, gar nicht anwendbar: auf die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen.
Unionsbürger und ihre Familienangehörigen
Unionsbürger und ihre Familienmitglieder sind nämlich bereits durch § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG vom Anwendungsbereich des AufenthG überhaupt ausgenommen. Ihre Einreise und ihr Aufenthalt werden nach § 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) durch das FreizügG/EU geregelt. Dieses Gesetz setzt die unionsrechtliche Freizügigkeit von Unionsbürgern und ihren Familienmitglieder in das nationale Recht um. Unionsbürger und ihre Familienmitglieder bedürfen eines Aufenthaltstitels nur, soweit sich das aus dem FreizügG/EU ergibt.