Längst ist es Allgemeingut: Recht haben und Recht bekommen sind zweierlei. Warum jeder zweite seinen Prozess verliert, ist klar. Schauen Sie sich die Verlierer an! Die einen haben ihren Prozess verloren, weil das Gericht die Rechtslage anders beurteilt hat. Die anderen haben ihren Prozess verloren, weil das Gericht von einem anderen Sachverhalt ausging. Oder wie der Volksmund sagt: Man muss nicht nur Recht haben, man muss es auch beweisen können – wobei hier und im Folgenden nicht vom Beweis im strengen, sondern im umgangssprachlichen Sinne die Rede sein soll.
Unter denen, die ihr Recht nicht beweisen konnten, gibt es eine besonders unglückliche Truppe. Das sind die, die dem Gericht Erkenntnismittel an die Hand gegeben haben, die sich dann gegen sie gewendet haben. Dass Zeugen nicht so aussagen oder Sachverständige nicht mit dem Ergebnis begutachten, wie man sich das gewünscht hat, als man den Zeugen oder den Sachverständigen benannt hat, ist in den Gerichtssälen Routine. Aber dass sich die Erkenntnismittel, die man gab, auch noch gegen einen wenden? So wie ein gut geworfener Bumerang, der zurückkommt und uns gegen den Kopf knallt, wenn wir nicht aufpassen?
Nun, erwähnenswert sind hier drei Fallgruppen der Bumerang-Beweisführung: Über die erste mag man getrost lachen. Sie ist selten und hat etwas Komisches an sich. Über die zweite mag man auch lachen, ob der Dummheit die dahinter steckt, und das Lachen mag uns dann im Halse stecken bleiben, wenn wir daran denken, dass wir gegen dieselbe auch nicht immer gefeit sind. Und die dritte hat schon etwas Tragisches, weil sie ein gehöriges Maß an Verbitterung erzeugt.
Die erste Variante ist die Erledigung des Streitgegenstandes durch die Zerstörung des Streitobjektes. Da wendet sich der Kläger gegen eine wasserbehördliche Verfügung, seine baufällige Steganlage abzureißen. Er behauptet, die Steganlage sei standsicher, keineswegs baufällig, allenfalls ein wenig ausbesserungsbedürftig. Das Gericht ist vor Ort. Zum Beweis der Behauptung seines Mandanten schreitet der Rechtsanwalt des Klägers auf die Holzplanken und fängt an zu springen: „Sehen Sie! Alles fest! Da ist nichts baufällig!“ Sie können sich die Mischung aus Bestürzung, Amüsement und Sorge um den armen Rechtsanwalt vorstellen, als dieser quasi in Zeitlupe unter lautem Krachen mitsamt der Steganlage im Wasser versinkt. Zum Glück ging alles gut, außer einem nassen Anzug war nichts weiter passiert. Der Rechtsanwalt konnte die Klage auch noch zurücknehmen. Der Steg war allerdings irreparabel von der Wasserfläche verschwunden und die Neuerrichtung aus wasserrechtlichen Gründen unzulässig. Ob der Rechtsanwalt sich eine Erkältung zugezogen hat oder seinen Mandanten wegen des ruinierten Anzuges in Regress genommen hat, ist nicht bekannt.
Diese Variante ist zum Schmunzeln. Der Spaß hört allerdings auf, wenn ein Kläger seinen putzmunteren Hund aufschneiden lassen will, um zu beweisen, dass dem Tierarzt bei der Behandlung ein Fehler unterlaufen ist. Ebenfalls wenig spaßig, aber nicht eigentlich ein Fall des sich gegen den Beweisführer wendenden Erkenntnismittels ist auch das Urteil des biblischen Königs Salomon, der im Falle zweier um ein Neugeborenes streitender Frauen das Kind mit dem Schwert teilen wollte, woraufhin die wahre Mutter von ihrem Begehren Abstand nahm …
Die zweite Variante der Bumerang-Beweisführung ist der erfolgreiche Beweis einer anspruchsbegründenden Tatsache, die mit dem unbeabsichtigten Nebeneffekt einhergeht, dass gleichzeitig eine anspruchsvernichtenden Tatsache bewiesen wird: Der Kläger klagt den Ersatz von Schäden an seinem Fahrzeug ein, die dadurch entstanden waren, dass er in ein Schlagloch fuhr. Um die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Gemeinde darzutun, wollte der Kläger dem Gericht eine Aufzeichnung aus seiner Dashcam, also seiner Frontscheibenkamera, zeigen. Nun ist es sehr umstritten, ob solche Aufzeichnungen und ihre Verwertung überhaupt zulässig sind – jedenfalls, ob mit oder ohne guten Willen der Gegenseite, kam es dazu, dass das Gericht sich die Aufnahme ansah. Und dort war klar und deutlich das Schlagloch zu erkennen, auf das der Kläger zufuhr und zufuhr und zufuhr. Und das wurde dem Kläger zum Verhängnis: Klar und deutlich belegte die Dashcam-Aufzeichnung, dass der Kläger mehr als genug Zeit hatte, um abzubremsen und das Durchfahren des Schlaglochs zu vermeiden. So wurde es halt nix mit dem Schadensersatz.
Diese Variante regt zum Nachdenken an. Wer kennt ihn nicht, den Tunnelblick, wenn man ein bestimmtes Ziel verfolgt und dabei den Blick nach links und rechts vergisst? Hier war der Kläger so darauf fixiert, dem Gericht das Schlagloch vorzuführen, dass er – und übrigens auch sein Anwalt ‑ nicht darauf kam, dass man auch sein äußerst zweifelhaftes Fahrverhalten erkennen konnte. Diese Variante gibt es manchmal auch in der Form, dass Urkunden vorgelegt werden, die man offenbar nicht ganz gelesen hat. Und dann liest die Gegenseite und liest das Gericht und machen ein unerwartetes Fass auf und man merkt, dass man da eine Vertragsklausel mitgeliefert hat, die man besser nicht geliefert hätte.
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Die dritte Variante des sich gegen den Beweisführer wendenden Erkenntnismittels ist mit der zweiten Variante verwandt. Man macht gewissermaßen die Tür weiter auf, als man sollte, und lässt den Feind ins Haus, der dann viel mehr Schaden anrichtet, als dass es zum Klageziel noch in irgendeinem Verhältnis stünde. Ein großes Betätigungsfeld für diese Variante sind öffentlich-rechtliche Nachbarschaftsstreitigkeiten. Da will der Nachbar baubehördliches Einschreiten gegen seinen Nachbarn, z.B. wegen Abstandsflächenüberschreitungen, weil der Nachbar seine Terrassenüberdachung zu nah an der Grundstücksgrenze errichtet haben soll. Die Behörde ziert sich, also marschiert der Nachbar zum Gericht und wird Kläger. Das Gericht macht einen Ortstermin und sieht sich die Sache zunächst einmal vom Terrassengrundstück an. Dann marschiert es, meist mit, manchmal auch nicht ganz mit dem Willen des Klägers, auf dessen Grundstück. Und siehe da: Der Kläger ist nicht frei von Schuld. Die Abstandsflächenüberschreitungen auf seinem Grundstück sind weit gravierender als die des Nachbarn. Da ist schon mal der Prozessverlust vorprogrammiert, weil es im nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis nach Treu und Glauben einen Rechtsgrundsatz gibt, der der Sache nach direkt auf die Bergpredigt zurückgeht: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“ Jedenfalls unter Grundstücksnachbarn darf der mit dem Balken nicht die Entfernung des Splitters verlangen. Also die Terrassenüberdachung bleibt. Dummerweise ist die Behörde bei dem Ortstermin dabei. Sie war natürlich noch nie auf dem Grundstück des Klägers und entdeckt einen Baurechtsverstoß nach dem anderen, z.B. den zu großen Schuppen, den baurechtswidrig errichteten Swimmingpool. Der Kläger wird noch eine ganze Reihe von Klagen führen, gegen die die störende Terrassenüberdachung des Nachbarn ein Klacks war … . Übrigens scheint dem eine gewisse Gesetzmäßigkeit zugrunde zu liegen: Menschen, die gerne ihren Nachbarn vorschreiben, was dieser auf ihrem Grundstück tun und lassen dürfen, neigen dazu, auch besonders selbstherrlich mit den Vorschriften anderer, spricht mit denen des Gesetzgebers, umzugehen, wenn es ums eigene Grundstück geht.
Da die dritte Variante dazu führt, dass aus einem noch verhältnismäßig überschaubaren Streit ein immer größer werdender wird, ist sie mit Abstand die schlimmste und man sollte als Beweisführer besser von ihr Abstand nehmen. Ansonsten gilt: Wer das Tor zur Hölle aufmacht, sollte sich warm anziehen!
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