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Der Ferienrichter

Ein Ferienrichter ist ein Richter, der die Parteien, insbesondere ihre Prozessvertreter, zur Unzeit ‑ nämlich in den Ferien – nervt. Es gibt zwei Varianten des Ferienrichters. Die eine Variante ist der Ferienrichter, der in den Ferien nicht in den Urlaub fährt. Die andere Variante ist der Ferienrichter, der in den Ferien im Urlaub ist. Und dann gibt es natürlich auch noch die Kombination aus beidem.

Wenn Sie als Prozessvertreter öfters mit Gerichten zu tun haben, dann kennen Sie sicherlich die Darbietung des Ferienrichters, der da ist:

In einem Verfahren passiert lange nichts von Bedeutung. Dann passiert nichts. Und dann überhaupt nichts. Und dann sind Sommerferien. Und dann erwacht der schlafende Riese: Urplötzlich will das Gericht etwas von Ihnen. Weil jetzt in den Ferien der Richter Zeit gefunden hat, sich um das von Ihnen betreute Verfahren zu kümmern. Und dieses Verfahren muss auch jetzt in den Ferien abgeschlossen werden. Weil der Richter nur in den Ferien ‑ genauer nur in der Ferienzeit, in der der Richter nicht selbst Urlaub hat ‑ Zeit für Ihr Verfahren hat. Vorher hat er keine Zeit und danach auch nicht. Denn jetzt ‑ jetzt hat er sich in das Verfahren eingearbeitet, jetzt ist das Verfahren so unerträglich alt geworden, dass es keinerlei Aufschub duldet, jetzt ist die Lücke im unendlichen Strom der Verfahren für Ihren Fall.

Und deshalb muss genau jetzt – und nicht morgen oder gar nach Ende der Ferien – das Gericht von Ihnen eine bestimmte Information oder Stellungnahme haben, muss genau jetzt eine mündliche Verhandlung durchführen, will jetzt einen Vergleich schließen – jetzt, wo Ihr Mandant, Ihre Mitarbeiter, überhaupt alle, die irgendeinen Schimmer von der Sache haben, weg sind – an der Adria, in den Bergen oder sonst wo. Sie haben keine Ahnung von der Sache, weil der zuständige Mitarbeiter auf Reisen ist? Das Gericht will, dass Sie oder ein anderer sich einarbeiten – es hat sich ja schließlich auch jetzt eingearbeitet. Ihr Mandant oder Ihre Auskunftsperson sind im Fernen Osten? Das Gericht will, dass Sie diesen anzurufen – man kann Richter ja auch im Urlaub anrufen.

Die andere Variante des Ferienrichters ist der, der in den Ferien nicht da ist, sondern samt Kind und Kegel in den Urlaub fährt, und vor seinem Urlaub noch alles Mögliche und Unmögliche verfügt, was nun die Parteien so alles abarbeiten mögen. Natürlich unter Fristsetzung genau auf den Tag des Endes des Urlaubs. Ohne nur die Blässe eines Gedankens darauf zu verschwenden, dass nicht nur er – der Richter ‑ in den Ferien im Urlaub ist, sondern regelmäßig auch andere am Verfahren beteiligte oder irgendwie für es relevante Personen. Besonders heimtückisch ist der Weihnachtsferienrichter, der denkt, während er unter dem Tannenbaum sitzt und Weihnachtslieder singt, können die Prozessbevollmächtigten ja noch ein paar Schriftsätze verfassen.

Früher galten immerhin für die ordentlichen Gerichte die Gerichtsferien. Sie dauerten vom 15. Juli bis zum 15. September. In dieser Zeit liefen keine Fristen und durften grundsätzlich keine Termine abgehalten werden, wenn es sich nicht um eine eilbedürftige, sogenannte Feriensache handelte. Für Zivilprozesse hilft heutzutage ein wenig § 227 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO), demzufolge „ein für die Zeit vom 1. Juli bis 31. August bestimmter Termin, mit Ausnahme eines Termins zur Verkündung einer Entscheidung, … auf Antrag innerhalb einer Woche nach Zugang der Ladung oder Terminsbestimmung zu verlegen“ ist. Der Clou an dieser Vorschrift ist. Man muss den Antrag nicht begründen, also nicht darlegen und glaubhaft machen, wer wann im Urlaub ist. Zu dieser Vorschrift gibt es einen Ausnahmekatalog und eine allgemeine Ausnahme für besonders beschleunigungsbedürftige Sachen.

Leider gilt § 227 Abs. 3 ZPO Vorschrift nur im Zivilprozess. In den anderen Prozessordnungen, insbesondere auch in denen, die ansonsten gerne auf die Zivilprozessordnung verweisen, findet sich keine vergleichbare Vorschrift und wird auf diese Vorschrift nicht verwiesen. Und Fristen laufen ohnehin in allen Verfahrensarten ungehindert weiter.

Natürlich gibt es in den meisten Fällen Mittel, um Prozessschaden zu verhindern, wenn richterliche Verfügungen und Terminierungen in und für die Ferienzeit, sei es wegen eigenen Urlaubs, des Urlaubs eines Mandanten, eines Mitarbeiters oder einer sonstigen Person nicht erfüllt werden können. Oft können Fristverlängerungen, Verlegungen und Vertagungen beantragt werden. Aber alle diese Mittel sind fehleranfällig, für den juristischen Laien oft gar nicht zu handhaben, und sie machen Mühe. Und das in einer Zeit, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Dagebliebenen die Arbeit für die Urlauber mit erledigen dürfen. Der Dagebliebene muss sich mit einem erhöhten Arbeitspensum herumschlagen, mit Vorgängen, die ihm nicht vertraut sind, ist genervt davon, dass er niemanden erreicht, der zuständig oder kompetent ist, weil alle im Urlaub sind. Und dann kommt noch dieser nervige Ferienrichter …

Lieber Ferienrichter! Warum nicht die Last der in der Ferienzeit Dagebliebenen erleichtern? Warum nicht für die Ferien großzügigere Fristen setzen? Warum nicht Entscheidungen so zustellen, dass die Rechtsbehelfsfrist nicht fast vollständig in die Weihnachtsferien fällt? Warum nicht Termine für die Ferienzeiten wenigstens vorher absprechen? Warum nicht? Yes, you can!

 

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