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Willkommen im Ausländerrecht! Teil II: Was regelt das Ausländerrecht?

Nachdem Sie den ersten Teil der Reihe Willkommen im Ausländerrecht über die Zwecke des Ausländerrechts gelesen haben, ahnen Sie schon, was jetzt kommt: Wir sind mit § 1 des Aufenthaltsgesetzes noch nicht fertig!

Parallelwertung aus der Wohnungssphäre

Aber lassen Sie uns zunächst einige Überlegungen ohne Gesetz anstellen! Wenn man wissen will, was das Ausländerrecht regelt, die Juristen reden von den „Regelungsgegenständen des Ausländerrechts“, dann kann man sich einiges schon denken, auch wenn man noch nie einen Blick in ein Gesetz geworfen hat. Juristen reden in ähnlichen Zusammenhängen von der “Parallelwertung in der Laiensphäre”.

Denken Sie nun an Ihre eigene Wohnung und daran, wen Sie dort hineinlassen. Die Fragen, die sich dabei stellen, ähneln den Regelungsgegenständen des Ausländerrechts:

  1. Wen lassen Sie in Ihre Wohnung hinein? Familienangehörige, Verwandte, Freunde, Bekannte, Handwerker, Lieferanten, Fremde … Der Ausländerrechtler würde sagen: Es geht um die Einreise.
  2. Wenn Sie jemanden hineinlassen, was darf er in ihrer Wohnung tun? Den Briefträger werden Sie allenfalls auf die Gästetoilette lassen, während Sie guten Freunden schon mal das Schlafzimmer zeigen werden. Und der Wasserinstallateur darf an Ihren Wasserleitungen herumwerkeln, von Ihrem Fernseher soll er aber gewiss die Finger lassen. Der Ausländerrechtler würde von Beschränkungen, Bedingungen und Auflagen des Aufenthalts
  3. Von vielen, die Sie in Ihre Wohnung eingelassen haben, möchten Sie, dass sie diese auch wieder verlassen. So ist der Aufenthalt vieler Besucher in Ihrer Wohnung auf einen bestimmten Zeitraum, z.B. den eines Abendessens, begrenzt. Der Ausländerrechtler thematisiert das im Zusammenhang der Aufenthaltsbeendigung.
  4. Ist die Katz aus dem Haus, freut sich die Maus. Also werden Sie den Einlass in Ihre Wohnung auch kontrollieren müssen und kontrollieren müssen, ob sich die, denen Sie Einlass in Ihre Wohnung gewährt haben, auch wunschgemäß verhalten. Wenn der Briefbote nach einer halben Stunde aus Ihrem Bad zurückgekommen ist, werden Sie nachsehen, was los ist. Der Ausländerrechtler spricht von Kontrolle der Einreise und des Aufenthalts. Damit eng verbunden ist die Notwendigkeit eines Verfahrens, in dem Sie z.B. feststellen, ob jemand berechtigt sein soll, sich in Ihrem Haus aufzuhalten. Dieses Verfahren kann ganz einfach sein: Begehrt der Schornsteinfeger Einlass, weil er die Feuerstättenschau durchführen will, beschränkt sich Ihre Kontrolle vielleicht auf die Benachrichtigung des Schornsteinfegers im Briefkasten und seine Identifizierung an Hand seiner Arbeitskleidung.
  5. Und wie ist das, wenn die, die Sie in Ihre Wohnung hineingelassen haben, sich nicht so verhalten, wie Sie sich das gedacht haben? Wenn ein Handwerker anstatt Ihre Leitungen zu flicken, Ihnen die Bude ausräumt? Oder wenn Ihre Schwiegermutter das Haus nach Ablauf der verabredeten Aufenthaltsdauer nicht verlässt? Dann sollten Sie ein paar Zwangsmittel Sanktionen zur Verfügung haben. So bezeichnet der Ausländerrechtler das auch. Das bekannteste Zwangsmittel ist die Abschiebung. Der Unterschied zwischen einem Zwangsmittel und einer Sanktion liegt darin, dass ein Zwangsmittel unmittelbar auf die Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes zielt, z.B. die Abschiebung eines ausreisepflichtigen Ausländers, während die Sanktion den Pflichtverstoß nur bestraft, also lediglich mittelbar dazu beiträgt, dass der Pflichtige sich pflichtgemäß verhält: Wird ein ausreisepflichtiger Ausländer z.B. wegen seines unerlaubten Aufenthaltes ins Gefängnis geworfen, dann verfestigt dies sogar seinen Aufenthalt im Bundesgebiet. Wenn es ihm aber im Gefängnis nicht gefallen hat, dann wird er vielleicht nach seiner Entlassung schnell das Weite suchen – im günstigsten Fall durch Ausreise.

Spätestens bei dem Wort „Abschiebung“ werden einige einwenden: „Das kann doch nicht sein, dass der Aufenthalt eines Ausländers mit dem Besuch in einer Wohnung verglichen wird! Der Ausländer ist kein Gast oder Besucher. Es ist ein Mensch, der da gekommen ist.“ Dass die Besucher einer Wohnung, sofern es sich nicht um Hunde, Katzen oder Mäuse handelt, Menschen sind, hindert allerdings erst mal niemanden daran, Besucher gar nicht erst einzulassen oder hinauszuwerfen. Der Besitzer der Wohnung hat die territoriale Souveränität über die Wohnung. Stellen Sie sich vor, jeder könnte ungefragt in Ihre Wohnung einmarschieren! Wenn es sich um eine besonders attraktive Wohnung, vielleicht sogar mit gut gefülltem Kühlschrank handelt, könnte es sein, dass Sie sich früher oder später aus den verschiedensten Gründen in Ihrer Wohnung nicht mehr so richtig wohl fühlen werden und das Bedürfnis verspüren, den einen oder anderen hinauszuwerfen und Ihre Tür zu verammeln. Wo da Ihre Grenzen liegen, ist natürlich von Ihrer Persönlichkeit abhängig.  In einem demokratischen Gemeinwesen müssen die staatlichen Grenzen von Zuzug und Zuwanderung natürlich ausghenadelt werden. Das bedeutet nicht, dass man mit Fremden nicht ordentlich umgehen sollte, ihnen nicht helfen oder sie nicht in die eigene Wohnung aufnehmen sollte. Es bedeutet nur, dass ein Steuerungsinteresse besteht – wovon im ersten Teil der Reihe unter „Begrenzung und Steuerung des Zuzugs“ ja bereits die Rede war. Wenn man eine solche Steuerung ablehnt, sollte man eine gute Antwort darauf haben, was die Konsequenzen ungeregelten Zuzugs wären.

Regelungsgegenstände des Aufenthaltsgesetzes

Jetzt schauen wir uns mal an, was das Aufenthaltsgesetz selbst zu seinen Regelungsgegenständen sagt. § 1 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nennt ausdrücklich vier Regelungsgegenstände:

  1. Einreise,
  2. Aufenthalt,
  3. Erwerbstätigkeit und
  4. Integration von Ausländern.

Dieser Katalog ist erst mal kürzer als die von uns herausgearbeiteten Themen des Ausländerrechts und nur teilweise mit ihm identisch:

Einreise

Der Regelungsgegenstand „Einreise“ betrifft nicht nur die Voraussetzungen, unter denen die Einreise gestattet werden soll, sondern auch wie das Vorliegen dieser Voraussetzungen gesichert werden soll, nämlich durch bestimmte Verfahrens- und Kontroll- sowie Zwangs- und Sanktionierungsmechanismen, z.B. die Visa-Pflicht, die Zurückweisung an der Grenze, Sanktionierungen unerlaubter Einreise etc.

Aufenthalt

Der Regelungsgenstand „Aufenthalt“ hängt zunächst mit dem der „Einreise“ eng zusammen, weil die Einreise für einen nach Zweck und Dauer näher bestimmten Aufenthalt erlaubt wird. Der Regelungsgenstand „Aufenthalt“ umfasst insofern zunächst einmal die Voraussetzungen, unter denen weiterer Aufenthalt gestattet werden soll, aber auch besondere Regelungen, wie sich der Ausländer während seines Aufenthaltes zu verhalten hat, z.B. räumliche Beschränkungen seines Aufenthaltes oder Beschränkungen der politischen Betätigung. Das alles wird wiederum flankiert durch bestimmte Verfahrens- und Kontroll- sowie Zwangs- und Sanktionierungsmechanismen. Zum Regelungsgegenstand „Aufenthalt“ kann man bei weiter Auslegung auch die Regelungen über Beendigung des Aufenthaltes zählen.

Erwerbstätigkeit

Der Regelungsgenstand „Erwerbstätigkeit“ ist eine Querschnittsmaterie. Von Querschnittsmaterie oder Querschnittsregelung redet man, wenn eine Regelung  Gegenstände mehrerer anderer Regelungen betrifft, der geregelte Aspekt sich geissermaßen durch andere Regelungen hindurchzieht.   Der Regelungsgegenstand „Erwerbstätigkeit“ ist eine Querschnittmaterie der Regelungsgegenstände „Einreise“ und „Aufenthalt“, weil es darum geht,

  • ob ein Ausländer zum Zwecke der Erwerbstätigkeit einreisen und sich im Bundesgebiet aufhalten darf, und
  • ob einem Ausländer während eines erlaubten Aufenthaltes Erwerbstätigkeit gestattet ist bzw. zu gestatten ist und in welchem Verfahren.

Integration

Der Regelungsgegenstand „Integration“ ist ebenfalls eine Querschnittsmaterie. Integration betrifft alle Regelungen, die die gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Eingliederung in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland fördern und fordern sollen, z.B. die Pflicht zur Teilnahme an einem Integrationskurs. Wenn man „Integration“ weit versteht, gehören sogar die Regelungen über die Aufenthaltsbeendigung, insbesondere die Ausweisung zu diesem Regelungsgegenstand, weil sie dem Ausländer insofern Aufenthaltssicherheit geben, dass er weiß, unter welchen Bedingungen er in der Bundesrepublik bleiben darf. Schön wäre natürlich, wenn die ausländerrechtlichen Normen so formuliert wären, dass der Ausländer sie auch verstehen könnte, wenn er sie denn lesen würde, um sich Gewissheit über seine Bleibeperspektiven zu verschaffen … . Im Übrigen war „Integration“ ein wesentlicher Gesetzeszweck des Aufenthaltsgesetzes. Das lässt sich unschwer erkennen: Denn Aufenthaltsgesetz ist nur die Kurzform von „Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet“.

Regelungsgegenstände des Ausländerrechts

Der aufmerksame Leser wird jetzt feststellen, dass § 1 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nur die Regelungsgegenstände des Aufenthaltsgesetzes aufzählt und deshalb nicht die alle Regelungsgegenstände des gesamten Ausländerrechts erfassen kann. Der Leser hat natürlich Recht. Aber auch die Rechtsgrundlagen für das Ausländerrecht außerhalb des Aufenthaltsgesetzes betreffen grundsätzlich die genannten Regelungsgegenstände, ob es sich nun um Europa-Recht, Völkerrecht, das Asylverfahrensgesetz, das Freizügigkeitsgesetz/EU oder ausländerrechtliche Verordnungen handelt. Viele Regelungen betreffen nur spezielle Personengruppen. Das Asylverfahrensgesetz betrifft z.B. nur Ausländer, die Asyl oder internationalen Schutz beantragt haben. Das Freizügigkeitsgesetz/EU betrifft nur Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten der EU und ihre Familienangehörigen. Natürlich spricht auch nicht jede Spezialregelung alle Regelungsgegenstände an. So betrifft ein Rückführungsabkommen mit einem bestimmten Staat nur Aspekte der Aufenthaltsbeendigung von Staatsangehörigen dieses Staates, während im Übrigen die Regelungen des Aufenthaltsgesetzes gelten.

Zusammenfassung

Wenn wir das in Tabellenform bringen und dabei auch noch die Gliederung des Aufenthaltsgesetzes einbauen, entsteht folgende Tabelle, die einen rechtswissenschaftlich nicht hundertprozentig sauberen, aber einen für unsere Zwecke ausreichenden Überblick gibt:

Regelungs-gegenstände Regelungen des AufenthG
Einreise Voraussetzungen – Allgemeine Voraussetzungen des Aufenthaltes
– Aufenthalts-voraussetzungen nach Aufenthaltszweck
Verfahren und Kontrolle – Zuständigkeiten
– Verwaltungsverfahren
– Datenschutz
Zwangsmittel

Sanktionen

– Ordnungsrechtliche Vorschriften
– Straf- und Bußgeld-vorschriften
Aufenthalt Voraussetzungen

Beschränkungen, Bedingungen und Auflagen

– Allgemeine Voraussetzungen des Aufenthaltes
– Aufenthalts-voraussetzungen nach Aufenthaltszweck
Verfahren und Kontrolle – Zuständigkeiten
– Verwaltungsverfahren
– Datenschutz
Zwangsmittel

Sanktionen

– Ordnungsrechtliche Vorschriften
– Straf- und Bußgeld-vorschriften
– Aufenthalts-beendigung
Aufenthalts-beendigung Voraussetzungen Begründung der Ausreisepflicht
Verfahren und Kontrolle

Zwangsmittel

Sanktionen

– Durchsetzung der Ausreisepflicht (Abschiebung)
– Ordnungsrechtliche Vorschriften
– Straf- und Bußgeld-vorschriften
Querschnitts-regelungen
Erwerbstätigkeit – Aufenthalt zum Zwecke der Erwerbstätigkeit
– Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit
Integration – Integration
– Bundesamt für Migration
Besondere Gruppen von Ausländern
EU-Bürger und ihre Familienangehörigen Freizügigkeits-gesetz/EU
Asylantragsteller und internationalen Schutz Suchende AsylVfG
Völkerrechtlich oder europarechtlich anderweitig privilegierte Personen

Jetzt haben Sie eine erste Vorstellung davon, was das Ausländerrecht so alles regelt. Leider steckt die Tücke im Detail …

Weiter geht es mit Willkommen im Ausländerrecht! Teil III: Wer ist eigentlich Ausländer?Ausländer, Migranten, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen nichtdeutscher Herkunft, Statusdeutsche, Staatenlose, Doppelstaatler und DDR-Bürger.

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