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Die Feinde der Strategen der Rechtsunsicherheit sind die Strategen der Rechtsvereinfachung. Wie Sie im Vorangegangenen gesehen haben, sind Politiker, Rechtswissenschaftler, Richter, Rechtsanwälte, Behörden und Ministerien die maßgeblichen Akteure bei der Chaotisierung der Rechtsordnung. Sie sind aus den verschiedensten Gründen nicht sonderlich motiviert, die Rechtsordnung zu vereinfachen. Dadurch werden sie zu Verbündeten der Strategen der Rechtsunsicherheit. Doch immer wieder gibt es Aufsässige, die fragen, ob es nicht auch etwas einfacher ginge. Da ist es gut, wenn wir Strategen der Rechtsunsicherheit ein paar Mittel bei der Hand haben, um den ketzerischen Vorschlägen der Rechtsvereinfacher schnell und wirksam entgegenzutreten.
Step 61: Trägheitsprinzip
Eine Vereinfachung der Rechtsordnung wäre eine Veränderung der Rechtsordnung. Die wirksamste Waffe gegen Veränderungen ist das Trägheitsprinzip. Das Besondere am Trägheitsprinzip ist: Es wirkt, ohne dass man als Stratege der Rechtsunsicherheit nur einen Handschlag dafür tun müsste.
Der Staats- und Verwaltungsrechtler Karl August Bettermann hat „die drei Grundsätze unserer Verwaltung“ formuliert:
- Das haben wir immer so gemacht!
- Das haben wir noch nie gemacht!
- Da könnte ja jeder kommen!
Die ersten beiden Grundsätze beschreiben das Trägheitsprinzip. Es wirkt nicht nur in der Verwaltung, sondern überall – auch in Gesetzgebung und Rechtsprechung und bei den Bürgern. Veränderung kostet Energie und ist mit Verunsicherung verbunden. Je schwerer der Tanker ist, dessen Kurs geändert werden soll, desto größer der Widerstand. Um Rechtsvereinfachung zu erreichen, müssten Millionen Köpfe umgepolt werden. Generationen von Juristen haben gelernt, Einzelfallgerechtigkeit, Abwägung und Differenzierung zu zelebrieren. Und jetzt einfacher? Um diese Kehrtwende zu vollziehen, genügt es nicht, ein Ruder umzulegen. Es müsste massiv Umkehrschub gegeben werden, um dem Tanker der der Rechtsunsicherheit nur ein wenig an Fahrt zu nehmen. Dass ausreichender Gegenschub von Fachleuten aus der juristischen Community allein kommen könnte, ist angesichts dessen, dass die juristische Community in die Mechanismen der Rechtsunsicherheit verstrickt ist, kaum zu befürchten. Auch die Bürger sind träge. Sie haben sich daran gewöhnt, dass die Strukturen nun einmal so sind, wie sie sind.
Step 62: Angst vor Veränderung
Ein Katalysator des Trägheitsprinzips ist die die Angst vor Veränderung. Strategen der Rechtsunsicherheit schüren sie. Das Argumentationsmuster ist: Rechtsvereinfachung ist gut, aber wenn man sie an dieser oder jener Stelle vornimmt, dann wissen wir nicht was passiert und müssen das Schlimmste befürchten. Das Wohnraummietrecht dadurch vereinfachen, dass man die Möglichkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen begrenzt? Es besteht die Besorgnis, dass dann der Wohnraummietmarkt zusammenbricht. Verbieten, Autos herzustellen, die in der täglichen Fahrpraxis einen bestimmten Grenzwert nicht einhalten? Der Zusammenbruch der heimischen Automobilindustrie ist zu befürchten, Verlust der der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und tausender Arbeitsplätze. Und die Wirtschaft ginge kaputt, wenn „Sachprämien, die der Steuerpflichtige für die persönliche Inanspruchnahme von Dienstleistungen von Unternehmen unentgeltlich erhält, die diese zum Zwecke der Kundenbindung im allgemeinen Geschäftsverkehr in einem jedermann zugänglichen planmäßigen Verfahren gewähren, soweit der Wert der Prämien 1 080 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigt“ nicht steuerfrei blieben. Auch hier lohnt sich für den Strategen der Rechtsunsicherheit, Experten einzusetzen, die auf unabsehbare Folgen hinweisen und so diffuse Angst verbreiten.
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In die gleiche Kerbe schlägt der dritte der drei Grundsätze unserer Verwaltung: „Da könnte ja jeder kommen!“ Er verweist auf den Gleichheitssatz. Suggeriert wird die Gefahr, dass, gebe man dem Ansinnen des einen nach, man dann dem Ansinnen aller anderen ebenfalls nachgeben müsste – was dem Öffnen des Tores zur Hölle gleichkäme.
Step 63: Mythen der Unmöglichkeit von Rechtsvereinfachung
Auch wenn das Trägheitsprinzip und die Angst vor Veränderung im Grunde ohne Ihr Zutun funktionieren, können Sie als Stratege der Rechtsunsicherheit trotzdem noch ein wenig nachhelfen und den Bürger mit ein paar Mythen füttern, ihm Sand in die Augen streuen, damit er im Glauben verharrt, dass eine Vereinfachung der Rechtsordnung unmöglich ist. Der erste und einfachste Mythos ist, dass Rechtsvereinfachung nicht möglich ist, weil es zu wenige gibt, die sie wirklich wollen. In Wahrheit ist es natürlich so, dass diejenigen, die Rechtsvereinfachung wollen, nicht diejenigen sind, die sich durchsetzen.
Der nächste Mythos der Unmöglichkeit der Rechtsvereinfachung ist: Es liegt in der Natur des Rechts kompliziert zu sein. Am besten, Sie verweisen auf die Anfänge des Rechts: „Schon seit je her war Recht keine Jedermann-Angelegenheit, sondern immer schon auserwählten Männern und Frauen vorbehalten“. Das ist zwar richtig, hatte allerdings ursprünglich seine Ursache weniger in der Komplexität des Rechts, sondern war vielmehr Machtfrage. Sollte jemand näher nachfragen, warum es die Natur des Rechts sei, kompliziert zu sein, antworten Sie mit dem Komplexitäts-Dogma: Eine komplizierte Welt verlangt komplizierte Regeln. Als Stratege der Rechtsunsicherheit begründen Sie dieses Dogma nicht. Anderenfalls würde offenbar werden, dass es auf nichts gründet. Sie müssen und können sich darauf verlassen, dass der Bürger nicht nachdenkt. Anderenfalls könnte sich zeigen, dass das Komplexitäts-Dogma ungefähr so überzeugend ist, wie der Satz: Weil der Wald grün ist, müssen die Waldgesetze grün sein. Falls jemand der Auffassung sein sollte, die Welt könne einfacher sein, gäbe es einfachere Regelungen, bestellt der Stratege der Rechtsunsicherheit einen Wissenschaftler, der darlegt, dass gerade in seinem Fachgebiet das Gegenteil der Fall sei.
Eine Spielart des Mythos der Unmöglichkeit der Rechtsvereinfachung ist der Glaubenssatz: „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“. Dieser Satz bedeutet im Grunde, Gerichte seien unberechenbar. Der Bezug auf die Seefahrt setzt die Unberechenbarkeit der Gerichte der Unberechenbarkeit der Naturgewalten gleich. Verschleiert wird damit, dass es sich bei der Rechtsprechung um etwas anderes handelt als um eine Orkanböe, nämlich um eine Kulturtechnik, die von Menschenhand gemacht ist und auch von Menschenhand verändert werden kann.
Über die führen selbst Politiker Klage – gerade so, als ob sie naturgegeben wäre und als ob Politiker als Hauptakteure der Rechtsformulierung nichts dagegen tun könnten. Dazu gibt es eine kleine Geschichte über Friedrich den Großen, der sich bei dem Dichter Gellert über den Kanzleistil beschwert:
“König: So? Hat Er denn auch wider den Stylum curiae geschrieben?
Gellert: Ach ja, Ihro Majestät.
König: Aber warum wird das nicht anders? Es ist was Verteufeltes. Sie bringen mir ganze Bogen, und ich verstehe nichts davon.
Das Handwerkszeug des Juristen
Gellert: Wenn es Ihro Majestät nicht ändern können, so kann ichs noch weniger. Ich kann nur rathen, wo Sie befehlen.“
Step 64: TINA – Fehlende Alternativen
Eng verwandt mit dem Mythos von der Unmöglichkeit der Rechtsvereinfachung ist das TINA –Prinzip: „There Is No Alternative“. Es gibt keine Alternative. Diese Killerphrase war Markenzeichen von Margaret Thatcher. Ein kurzer, leicht verständlicher Satz, der die Argumentationslast auf den Kritiker verschiebt. Nicht die Alternativlosigkeit muss bewiesen werden, sondern deren Gegenteil, indem man Alternative für Alternative mühsam entwickelt und erklärt. Wer mag angesichts des kurzen TINA, das wie ein schwerer Fels in der Brandung der Argumente liegt, noch langatmigen Erläuterungen folgen? Der Kritiker fürchtet nicht zu Unrecht, dass ihm das Publikum schnell von der Stange geht. Er wird verunsichert und eingeschüchtert. Im Angesicht der geballten Kraft des TINA verflüchtigt sich die Kraft des Kritikers in den Verästelungen seiner eigenen Argumente. Eines aber dürfen Sie als Stratege der Rechtsunsicherheit niemals zulassen: Die Frage, welchen Beweis haben Sie, dass es keine Alternative gibt.
Tipp für Fortgeschrittene: Unwirksame Gegenstrategien in die Welt setzen
Wenn Sie aber dennoch den Beweis der Alternativlosigkeit antreten sollen, setzen Sie einfach untaugliche Gegenstrategien in die Welt. Deren Scheitern rechtfertigt den messerscharfen Schluss: Wir haben alles probiert, aber es liegt nun mal in der Sache, dass Recht sehr, sehr kompliziert ist. Besonders wirksam ist es, zur Rechtsvereinfachung Kommissionen zu bilden. Es sollten unbedingt ehemalige Politikgrößen Mitglieder sein. Die Erfahrung zeigt, dass die, die die Suppe eingebrockt haben, auch diejenigen sind, die sie am besten wieder auslöffeln. Wegen ihres besonderen Sachverstandes gehören natürlich auch herausragende Rechtswissenschaftler in eine Rechtsvereinfachungskommission. Wer sonst als der Bock könnte besser gärtnern? Und unbedingt erforderlich ist es, dass alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen vertreten sind. Das garantiert, dass alle berechtigten und unberechtigten Interessen in einfachen Lösungen differenziert ausgeglichen werden.
Eine andere untaugliche Lösung könnte sein, alle Gesetze mit einem Verfallsdatum zu versehen, damit der Gesetzgeber dereinst gezwungen sein wird, sich mit der Notwendigkeit der Fortexistenz des verfallenden Gesetzes zu beschäftigen. Man kann sich schon lebhaft vorstellen, wie nach intensiver Prüfung ein Fortgeltungsgesetz nach dem anderen erlassen wird …
Step 65: Ächtung der Rechtsvereinfacher
Ein Instrument, um beharrliche Freunde der Rechtsvereinfachung in ihre Schranken zu weisen, ist, sie zu ächten. Man macht es, wie man es mit Rechtswissenschaftlern macht, die Meinungen vertreten, die nicht dem juristischen Mainstream entsprechen: Man veröffentlicht ihre Beiträge nicht in den einschlägigen Fachzeitschriften. Man zitiert sie nicht. Man lädt sie nicht als Vortragende ein. Man verschweigt sie einfach. Oder man erklärt sie zu Menschen minderen Sachverstandes bis hin zu verrückt.
Aber eigentlich ist das alles gar nicht erforderlich: Wir leben in einer freien Gesellschaft mit einer dank der modernen Medien unglaublichen Menge an verfügbaren Informationen. Jeder kann sich über Missstände informieren. Viele sind informiert. Und es ändert sich wenig bis nichts. Das ist die besondere Stärke unserer Demokratie. So versickern selbst Beiträge wie „Der Maria-Theresien-Taler (MTT) als Hilfe zur Rechtsfindung. Ein Beitrag zur Austrifizierung der Rechtspflege“ (DÖV 1991, 521) so renommierter Juristen wie des ehemaligen Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Horst Sendler nach kurzem Aufflackern einer Diskussion im Orkus des Vergessens.
Weiter geht es mit Die Strategien der Rechtsunsicherheit – Teil 18: Cui bono? und Finale – Die geheimen Nutznießer der Rechtsunsicherheit.
Der Einstieg in die Juristerei
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