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Presseberichte als Tatsachengrundlage von Gerichtsentscheidungen – Die Allgemeinkundigkeit von Tatsachen aus Zeitungsartikeln

Mitunter stützen Gerichte ihre Entscheidung auch auf Zeitungsberichte. Da wird schon mal zum Beleg der vermeintlichen Tatsache, dass eine Wohnung von Schimmel befallen sei, ein Zeitungsartikel verwendet. Oder einem Zeitungsbericht über geschäftliche Beziehungen in den arabischen Raum werden Angaben über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Person entnommen. Oder ein bestimmter Gesetzeszweck wird durch eine aus dem Zusammenhang gerissene Äußerung eines Ministers in einem Interview belegt.

Wieso, werden Sie fragen, kann ein Gericht sich bei der Sachverhaltsermittlung auf Presseberichte stützen? Das ist eine gute Frage. Zumal ja gerade Gerichte so ihre Erfahrungen mit Presseberichten über ihre Tätigkeit haben. Sie weist auf einen gar nicht so seltenen problematischen Umgang von Gerichten mit der Wahrheitsfindung hin.

Offenkundige Tatsachen

Wie ermitteln Gerichte die Tatsachen, auf deren Grundlage sie eine Entscheidung treffen? Quellen der Tatsachenkenntnis können die Schilderungen der Prozessparteien sein, Behördenakten, Urkunden, Zeugenaussagen etc. Für die Tatsachenermittlung gibt es differenzierte Regelungssysteme. Sie unterscheiden sich je nach Gerichtsbarkeit. Während etwa im Zivilprozess besonderer Wert auf den Vortrag der Prozessparteien gelegt wird, steht im Strafprozess der Beweis im Vordergrund. Allen Prozessordnungen ist gemeinsam, dass offenkundige Tatsachen keines Beweises bedürfen. Ausdrücklich regeln das § 291 der Zivilprozessordnung (ZPO) und § 244 Abs. 3 Satz 2 der Strafprozessordnung (StPO). Im Übrigen handelt es sich um einen für alle Prozessordnungen gültigen Verfahrensgrundsatz.

Dürfen Gerichte also annehmen, eine Tatsache sei offenkundig und damit nicht beweisbedürftig, weil sie in der Presse stand? Sie erhalten jetzt eine typische Juristenantwort: Es kommt darauf an!

Schauen wir uns zunächst mal an, was die Rechtsprechung unter Offenkundigkeit versteht: Offenkundig ist eine Tatsache, wenn sie allgemeinkundig oder gerichtskundig ist.

Gerichtskundige Tatsachen

Das Thema Gerichtskundigkeit können wir gleich beiseite schieben. Um Gerichtskundigkeit geht es bei der Tatsachenkenntnis aus Presseberichten nicht. Eine Tatsache ist gerichtskundig, wenn das erkennende Gericht sie in amtlicher Eigenschaft selbst wahrgenommen hat. Insofern könnte es zwar theoretisch gerichtskundig sein, dass in der Zeitung Soundso das und das gestanden hat. Aber dass das und das sich auch so, wie in der Zeitung geschildert, zugetragen hat, steht damit keinesfalls fest.

Allgemeinkundige Tatsachen

Die Tatsachenkenntnis aus Presseberichten ist vielmehr eine Frage der Allgemeinkundigkeit von Tatsachen. Was sind allgemeinkundige Tatsachen? Der Wortlaut gibt einen ersten Hinweis: Die Allgemeinheit hat Kunde von der Tatsache. Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 14. 7. 1954 – 6 StR 180/54) definiert:

Unter „allgemein bekannten Tatsachen … sind solche Vorgänge zu verstehen, von denen verständige Menschen regelmäßig Kenntnis haben oder über die sie sich aus zuverlässigen Quellen ohne besondere Fachkunde sicher unterrichten können. Diese Allgemeinkundigkeit braucht nicht in allen Landesteilen vorhanden zu sein; sie kann sich auch auf einen begrenzten Kreis von Personen oder eine bestimmte Ortschaft beschränken, wie z.B. hinsichtlich der besonderen Verkehrsverhältnisse in einer Gemeinde“.

In einem der wichtigen Kommentare zur Zivilprozessordnung, im Münchener Kommentar, finden Sie folgende Erläuterung:

„Eine Tatsache ist allgemeinkundig, wenn sie generell oder in einem bestimmten Bereich einer beliebig großen Zahl von Personen bekannt ist oder zumindest wahrnehmbar ist. Es kommt also nicht darauf an, dass die Tatsache jedermann gegenwärtig ist. Es genügt, dass man sich aus einer allgemein zugänglichen und zuverlässigen Quelle ohne besondere Fachkenntnis über die Tatsache sicher unterrichten kann. …

Die Definitionen sind nicht deckungsgleich. Die Kernvoraussetzung der Allgemeinkundigkeit einer Tatsache liegt jedoch darin, dass man sich über sie „sicher unterrichten“ kann.

Sichere Unterrichtung über eine Tatsache

Wie erlangt man sichere Kenntnis von einer Tatsache?

Die sicherste Kenntnis erlangt man, wenn man die Tatsache unmittelbar, das heißt ohne Vermittlung irgendeines Mediums, selbst wahrgenommen hat. Jedes Medium, dass zwischen Wahrnehmung und Geschehnis geschaltet wird, birgt die Gefahr der Täuschung. Wenn Sie also etwas im Fernsehen gesehen haben, dann haben Sie in Wahrheit nicht das im Fernsehen gezeigte Geschehnis wahrgenommen, sondern Bilder, die tatsächliches Geschehen wiedergeben können oder auch nicht. Bei genauer Betrachtung können uns auch unsere Sinne täuschen. Fata Morganas und optische Täuschungen sind die anschaulichsten Beispiele dafür. Aber das lassen wir jetzt mal beiseite, weil wir sonst nie von sicherer Kenntnis von etwas ausgehen können …

Haben wir also eine Tatsache nicht unmittelbar selbst wahrgenommen, dann stellt sich die Frage, ob wir sicher über die Tatsache unterrichtet worden sind. Wenn Sie etwas nicht unmittelbar selbst wahrgenommen haben, dann können Sie sichere Kenntnis von einem Geschehen nur dann haben, wenn sie sicher sein können, dass die Informationen, die sie über das Geschehen haben, richtig sind. Da die eigene Wahrnehmung als Richtigkeitskontrolle ausfällt, müssen Sie auf Hilfskriterien zurückgreifen:

Zeitnahe Augenzeugenberichte

Wenn Sie selbst nicht unmittelbar wahrgenommen haben, ist klar, dass Kenntnis von dem Geschehen voraussetzt, dass es einen gibt, der das Geschehen unmittelbar wahrgenommen hat und darüber berichtet. Wenn wir mal davon ausgehen, dass derjenige der ein Geschehen wahrgenommen hat, keiner Täuschung unterlegen ist, dann ist erste Voraussetzung dafür, dass der unmittelbar Wahrnehmende zutreffend über das Wahrgenommene unterrichtet. Natürlich spielt da schon mal das Erinnerungsvermögen eine Rolle. Die Erinnerung spielt uns oft einen Streich. Und der zeitliche Abstand zu einem Ereignis führt sprichwörtlich dazu, ein Ereignis zu verklären. Vieles verschwindet im Nebel der Vergangenheit und das Gehirn produziert seinen eigenen Film.

Halten wir fest: Voraussetzung für die sichere Unterrichtung über eine Tatsache ist, dass der unmittelbar Wahrnehmende, ich will ihn mal den Augenzeugen nennen, obwohl es auch ein Ohrenzeuge, ein Geschmacks- oder Fühlzeuge sein kann, zeitnah über das Ereignis berichtet. Je länger das Ereignis her ist, desto weniger dürfen wir auf Details der Schilderung geben. Wenn Sie jemanden nach 10 Jahren fragen, wie genau denn der Schimmelbefall im Bad seines Freundes aussah, dann können Sie eine zuverlässige Antwort nicht erwarten.

Keinen Grund, nicht zutreffend, über das Geschehen zu berichten

Der Augenzeuge darf auch keinen Grund haben, den Bericht über das Geschehene zu verfälschen. Gründe, nicht zutreffend zu berichten, können vielfältigster Natur sein: Es kann sein, dass man seinen eigenen Beitrag zu dem Geschehen in einem besseren Licht erscheinen lassen will. Es kann sein, dass man Vorurteile oder bestimmte Überzeugungen hegt und die Darstellung der Realität diesen anpasst. Es kann sein, dass man jemandem schaden oder jemandem einen Vorteil verschaffen will.

Und wenn ihnen nicht unmittelbar der Augenzeuge über das Geschehen berichtet, muss natürlich auch ausgeschlossen sein, dass der Bericht des Augenzeugen nicht durch die den Bericht weitergebenden Personen verfälscht wird.

Keine Kommunikationsfehler

Und auch wenn weder der Augenzeuge noch die seinen Bericht weitergebenden Personen einen Grund haben, nicht zutreffend über das Geschehen zu berichten, lassen sich Verfälschungen nicht ausschließen, weil Kommunikation kaum jemals fehlerfrei ist. Allzu oft kommt beim Empfänger einer Nachricht etwas an, was der Absender gar nicht gemeint hat. Für das gesprochene Wort zeigt das eindrucksvoll das allseits bekannte Spiel „Stille Post“. Der Bericht des Augenzeugen kann Unterlassungen haben, die bei der Weitergabe unbeabsichtigt ausgefüllt werden. Umgekehrt können bei der Weiterübermittlung unbeabsichtigt Informationen unter den Tisch fallen. Nicht umsonst wird im Beweisrecht der sogenannte Zeuge vom Hörensagen als Auskunftsperson eingeschränkten Beweiswertes behandelt.

Zuverlässige Quelle

Bei diesem Stand der Überlegungen können wir festhalten, was eine „zuverlässige Quelle“ für allgemeinkundige Tatsachen ist:

– Die Quelle muss sich auf Augenzeugenberichte zurückführen lassen.

– Die Kette der Kommunikationsmittler zwischen Augenzeuge und Quelle sollte möglichst kurz sein.

– Weder die Quelle, noch der Augenzeuge noch sonstige Kommunikationsmittler dürfen einen Grund haben, nicht zutreffend über das Geschehen zu berichten.

Das Alleinstellungsmerkmal bei allgemeinkundigen Tatsachen

Nun sind wir soweit, uns dem Kern der Rechtsfigur der allgemeinkundigen Tatsachen anzunähern. Wir wissen, was eine zuverlässige Quelle ist, welcher Voraussetzungen es bedarf, sich sicher über eine Tatsache zu unterrichten, und wenn wir uns das ansehen, sind die Anforderungen – abstrakt gesehen – grundsätzlich die gleichen, die wir an Beweismittel anlegen. So werden wir beispielsweise einem Zeugen, der zeitnah befragt wird, der am Ausgang des Rechtsstreits keinerlei Interesse hat, an dessen Wahrheitsliebe auch sonst kein Zweifel besteht, und den wir ausführlich befragt haben, so dass auch Kommunikationsfehler ausgeschlossen werden können, glauben.

Was also ist das Alleinstellungsmerkmal bei allgemeinkundigen Tatsachen? Nun, die Tatsache ist derart, dass sich eine potentiell unüberschaubare Anzahl von verständigen Menschen, von ihrer Existenz ohne größeren Aufwand – sprich: insbesondere ohne den Aufwand eines Beweisverfahrens ‑ überzeugen kann. Und damit sind wir bei Zeitungsberichten. Sie sind grundsätzlich jedermann zugänglich. Aus ihnen kann sich jedermann, der lesen kann, informieren. Sind sie aber auch geeignet, von der Existenz einer Tatsache zu überzeugen?

Die Zuverlässigkeit von Informationen aus der Zeitung

Ob ein Zeitungsbericht über eine Tatsache als zuverlässige Quelle eingestuft werden kann, hängt von einem Bewertungsvorgang ab, bei dem viele Faktoren zu berücksichtigen sind. Kaum jemals machen sich die Gerichte jedoch die Mühe, einen solchen Bewertungsvorgang in ihren Entscheidungen niederzulegen.

Die Kriterien für die Bewertung von Zeitungsberichten als zuverlässig, sind die allgemeinen Kriterien für die Zuverlässigkeit von Quellen.

Identität der Augenzeugen

Ob sich ein Pressebericht auf Augenzeugenberichte zurückführen lässt, kann man Presseberichten entnehmen, wenn sie ihre Quellen offen legen. Die Offenlegung der Quellen erleichtert es natürlich auch, die Zuverlässigkeit der Augenzeugenberichte zu beurteilen.

Manchmal genügt die bloße Offenlegung der Identität des Augenzeugen, um zu sehen, ob sein Augenzeugenbericht tauglich ist, die Allgemeinkundigkeit einer Tatsache zu begründen. Eine Äußerung des Mieters über den Schimmelbefall in seiner Wohnung gegenüber der Presse etwa, belegt gar nichts, weil zu besorgen wäre, dass der Mieter nicht interessenfrei berichtet. Wenn also ein Gericht sich in einem Rechtsstreit zum Beleg des Schimmelbefalls in der Wohnung eines Mieters auf einen Pressebericht stützt, der gerade auf den Angaben des Mieters beruht, hat es die Anforderungen an die Wahrheitsfindung verkannt – zumal, wenn das auch noch in einem Rechtsstreit, den der Mieter führt, geschieht.

In vielen Fällen kann man Presseberichten die Quellen nicht entnehmen. Man kann dann nur vermuten, dass ein Pressebericht letztlich auf Augenzeugenberichte zurückgeht. Allein, dass eine Vielzahl von Zeitungen über ein Ereignis übereinstimmend berichtet, gleicht das Manko, dass die Quellen nicht benannt werden, nicht aus. Zeitungen schreiben von Presseberichten und untereinander ab. Eine Vielzahl von Berichten kann auf eine einzige Quelle zurückgehen.

Insofern bedarf es einer Gesamtbewertung der Berichterstattung. Dabei spielt die Art der Informationen, über die berichtet wird, eine zentrale Rolle.

Gegenwärtige Tatsachen

Eine Tatsache, die gegenwärtig (noch) wahrnehmbar ist, lässt sich leichter überprüfen, als eine vergangene Tatsache. Ob in Ihrem Ort z.B. die Hauptstraße die Eisenbahnlinie kreuzt, kann potentiell jedermann feststellen, indem er hinfährt und guckt. Vorausgesetzt es handelt sich um ein überschaubares Städtchen, werden es die Einwohner Ihres Ortes ohnehin wissen, weil sie alle schon mal die Hauptstraße entlang gegangen sind. Aber auch wenn Sie in einer Mega-Metropole wohnen, könnte jedermann anhand eines Stadtplans oder Google-Maps feststellen, ob die Hauptstraße die Eisenbahnlinie kreuzt. Sind Bestandteil einer Presseberichterstattung solche auch (noch) aktuelle Tatsachen, kann man grundsätzlich von einer hohen Zuverlässigkeit auch der Presseberichterstattung ausgehen, da bei solchen Tatsachen die Chance der Aufdeckung von Fehlern größer ist, als bei vergangenen Ereignissen. Das gilt jedenfalls, wenn die Tatsache im Verbreitungsgebiet des jeweiligen Presseorgans wahrgenommen werden kann. Warum sollte die Presse berichten, die Eisenbahn kreuze die Hauptstraße, wenn sogleich der Proteststurm der Leser zu befürchten wäre? Außerhalb des Verbreitungsgebietes des Presseorgans gilt das nur mit Abstrichen.

Vergangene Ereignisse

Berichte über vergangene Ereignisse lassen sich weniger leicht nachprüfen.

Ein Hilfskriterium kann sein, ob eine große Anzahl von Menschen ein vergangenes Ereignis miterlebt hat. Grundsätzlich werden jedenfalls in einer offenen Gesellschaft schon nicht alle irren oder lügen. Wenn man davon ausgehen kann, dass niemand ein Interesse daran hat, dass die Augenzeugen eines Geschehens in Ihrem Ort die übrigen Einwohner belügen, könnte zur Allgemeinkundigkeit auch ein auf vielen Augenzeugenberichten beruhendes Wissen der Einwohnerschaft genügen.

Berichtet die Presse etwa übereinstimmend über ein Erdbeben, kann man davon ausgehen, dass eine solche Nachricht über viele Augenzeugen und Kommunikationsmittler verbreitet wird und deshalb der Kern einer solchen Berichterstattung zuverlässig ist. Berichten über eine dramatische Rettungsaktion in einem abgelegenen Ort, bei der nur wenige Menschen Zeugen wahren, wird es dagegen an der für die Annahme von Allgemeinkundigkeit notwendigen Zuverlässigkeit fehlen.

Auch wenn eine weniger große Zahl von Menschen Augenzeugen eines Sportereignisses oder einer Kulturveranstaltung waren, ist übereinstimmende Presseberichterstattung über den Tatsachenkern grundsätzlich als zuverlässig anzusehen.

Offene Gesellschaft

Von großer Bedeutung ist, inwieweit sich das Ereignis und die Presseberichterstattung in einer offenen Gesellschaft bewegen. In einer offenen Gesellschaft kann man bei einer genügend großen Zahl von Augenzeugen davon ausgehen, dass sich eventuelle Lügen nicht durchsetzen würden. In einer totalitären Gesellschaft gilt das, soweit es um Themen geht, die dort unproblematisch öffentlich diskutiert werden können. Aber auch in offenen Gesellschaften können sich unzuverlässige Augenzeugenberichte verbreiten. Bei Progromen und Auseinandersetzungen zwischen einander verhassten Bevölkerungsgruppen etwa, wird man kaum erwarten können, dass Augenzeugen und Kommunikationsmittler zuverlässig sind.

Wenn die Allgemeinkundigkeit von Tatsachen mit der unmittelbaren Wahrnehmung durch eine größere Anzahl von Personen begründet werden soll, dann muss es sich also um eine – jedenfalls in Bezug auf die wahrgenommene Tatsache ‑ hinreichend offene Gesellschaft handeln und es darf keine Anhaltspunkte dafür geben, dass die kollektive Wahrnehmung von sachfremden Motiven geprägt sein könnte.

Natürlich spielt die Offenheit der Gesellschaft auch eine Rolle für die Beurteilung der allgemeinen Zuverlässigkeit eines Presseorgans. In einem totalitären Staat wäre selbst ein Stadtplan ein unzuverlässiges Erkenntnismittel. Generell kann man zwar davon ausgehen, dass die Ersteller von Stadtplänen nicht daran interessiert sind, Straßenverläufe falsch wiederzugeben. Falsche Stadtpläne würden ja auch relativ schnell auffallen. Aber in der DDR etwa waren Landkarten schon mal falsch, wenn es darum ging, militärische Standorte oder Wohnsiedelungen der politischen Führung geheim zu halten. Und ob in demokratischen Staaten jede Landkarte geeignet ist, über die Lage militärisch genutzter Gebiete zuverlässig zu informieren, ist zu bezweifeln.

Allerdings kann auch in einem totalitären Staat Presseberichterstattung zuverlässig sein, wenn sie Themen betrifft, an deren Manipulation das Regime nicht interessiert ist.

Reporter als Augenzeugen

Dier Anforderung, dass die Kette der Kommunikationsmittler zwischen Augenzeuge und Quelle möglichst kurz sein sollte, wird bei Ereignissen erfüllt sein, bei denen die Presseorgane eigene Reporter vor Ort hatten.

In Einzelfällen kann die übereinstimmende Berichterstattung über ein Ereignis, die auf eine große Zahl von bei diesem Ereignis anwesenden Pressevertretern zurückgeht, schon die Allgemeinkundigkeit des Ereignisses begründen. Das gilt natürlich nicht, wenn es sich um die Berichterstattung gleichgeschalteter Presseorgane in einem totalitären Staat in einer regimerelevanten Angelegenheit handelt.

Keine Gründe, nicht zutreffend zu berichten

Auch in einer offenen Gesellschaft kann es schwierig sein, zu beurteilen, ob weder die Quelle, noch der Augenzeuge noch sonstige Kommunikationsmittler einen Grund haben, bewusst oder unbewusst nicht zutreffend über das Geschehen zu berichten. Dass den Betreibern eines aktuell harvarierten Atomkraftwerkes nicht allzu viel Wahrheitsliebe unterstellt werden kann, liegt auf der Hand. Es gibt auch keinen Erfahrungssatz, dass Politiker die besseren Menschen sind und es deshalb – zumal in für sie schwierigen Situationen – mit der Wahrheit immer genau nehmen.

Auch gegenüber der Presse sind trotz Selbstverpflichtung auf die Wahrheit Vorbehalte angebracht. Letztlich ist Berichterstattung immer auch ein Bewertungsvorgang, was aus den gesammelten Informationen wie wiedergegeben werden soll. Abgesehen davon, dass sich die Meinungsmacht in wenigen Händen konzentriert, ist keine Zeitung per se davor gefeit, dass sich eine ideologische Grundhaltung ‑ und sei es auch nur die eines einzelnen Journalisten – in der Auswahl und Darstellung der Informationen niederschlägt und so die Tauglichkeit der Berichterstattung für die Wahrheitsfindung einschränkt.

Besondere Vorsicht ist natürlich bei Zeitungen geboten, bei denen die Befriedigung der Gier nach Sensationen, die reißerische Darstellung und nicht die Seriosität der Berichterstattung im Vordergrund stehen. Allerdings werden auch dort die Fußballergebnisse korrekt wiedergegeben sein.

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Die Verwertung von Presseberichten ohne rechtliches Gehör und der Gegenbeweis

Oft ärgert man sich doppelt und dreifach, wenn ein Gericht einen Pressebericht verwendet, um eine Tatsache als allgemeinkundig zu behandeln. Hinzu kommt nämlich häufig, dass die Allgemeinkundigkeit und der Pressebericht überhaupt nicht erörtert worden sind. Ob eine Tatsache allgemeinkundig ist, dazu muss das Gericht rechtliches Gehör gewähren. Das Gericht mag die Sache nicht von sich aus ansprechen, wenn die Allgemeinkundigkeit von der Gegenseite behauptet worden ist. Vielleicht auch dann, wenn es keinen vernünftigen Zweifel daran geben kann, dass etwas so ist, wie es ist, wenn also die Allgemeinkundigkeit auf der Hand liegt, z.B. dass es nachts dunkel ist. Es geht aber nicht an, dass ein Gericht eine Tatsache als allgemeinkundig quasi wie das Kaninchen aus dem Hut zaubert. Besonders verbreitet ist dieser Zaubertrick, wenn das Gericht die vermeintlich allgemeinkundige Tatsache als Hilfsargument verwendet.

Das alles ist umso misslicher, als eine allgemeinkundige Tatsache durch den Beweis des Gegenteils widerlegt werden kann. Ohne rechtliches Gehör ist die Möglichkeit des Gegenbeweises abgeschnitten.

Fazit

Nur dass etwas gedruckt wird, bedeutet noch lange nicht, dass es wahr ist. Das war auch schon in den Generationen vor uns so und wird auch so bleiben. Was das Kammergericht vor mehr als 40 Jahren ausgeführt hat, gilt damals wie heute:

„Veröffentlichungen in periodisch erscheinenden Druckschriften sind … stets zuverlässig in der Frage, was ihre Verfasser behaupten. Eine andere Frage ist, ob der Wahrheitsgehalt ihrer Behauptungen zuverlässig ist. Die Zeitschriften, … insbesondere die Illustrierten, sind keine Erkenntnisquellen von gleichbleibender Zuverlässigkeit. Nach den Erfahrungen des Senats enthalten ihre Berichte über Fragen der Justiz, sei es über einzelne Verfahren, sei es allgemein über die Richter und deren Angelegenheiten, häufig bedauerliche Unrichtigkeiten. Die Strafgerichte müssen solche Erfahrungen zum Anlaß nehmen, Veröffentlichungen über Sachgebiete, auf denen die Richter nicht selbst sachkundig sind, nicht ungeprüft zum Nachteil der Angeklagten zu verwerten“ (Urteil des Kammergerichts vom 1. Juni 1972 – (2) Ss 41/72).

(20.9.2015)

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