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Geschlechtsneutrale Einträge im Geburtsregister und geschlechtsneutrale Vornamen

Intersexualität

In den letzten Jahrzehnten haben sich die Anschauungen zunächst über die Beziehungen zwischen den Geschlechtern, sodann über die Geschlechter selbst erheblich gewandelt. Die Rechtsordnung vollzieht diesen Anschauungswandel nur zögerlich nach. War Homosexualität bis 1994 noch strafbar, gibt es heute die Lebenspartnerschaft als Rechtsinstitut für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Diskutiert wird die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partner. Diskutiert wird auch ein Adoptionsrecht für homosexuelle Paare.

Im Hinblick auf das Geschlecht selbst haben sich zunächst die mit der Zugehörigkeit zum „starken“ oder zum „schwachen Geschlecht“ verbundenen Rollenbilder und damit verbundenen Chancen in der Gesellschaft gewandelt. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht determiniert nicht mehr zwangsläufig die Chancen des Einzelnen in der Gesellschaft.

Aber auch unser Bild von Geschlecht hat sich gewandelt. Während es früher nur Männer und Frauen gab und die Zuordnung zu einem Geschlecht anhand der Geschlechtsmerkmale erfolgte, respektiert man heutzutage den Wunsch, das Geschlecht zu wechseln – sei es mit oder ohne Operation. Die Gender-Forschung lehrt uns, dass Geschlecht nicht nur ein biologisches, sondern auch ein soziales Konstrukt ist. Lange Zeit war in der Öffentlichkeit kaum bekannt, dass die Geschlechtszuordnung anhand körperlicher Merkmale nach der Geburt manchmal nicht möglich ist und Menschen unter Inkaufnahme extremer Traumatisierungen durch Operationen, Hormonbehandlungen und Erziehung körperlich und seelisch in ein bestimmtes Geschlecht gepresst werden sollen. Breite öffentliche Aufmerksamkeit hat dieses Thema durch den 2012 erstmal ausgestrahlten Tatort „Skalpell“ erhalten. Seitdem dringt zunehmend in das Bewusstsein, dass es, unabhängig davon, ob ihnen aus medizinischer Sicht ein Geschlecht zugeordnet werden kann, viele Menschen gibt, die sich gar keinem Geschlecht zugehörig fühlen, sich als zwischen den Geschlechtern stehend oder als einem dritten Geschlecht zugehörig fühlen und psychisch erheblich daran leiden, dass sie einem Geschlecht zugeordnet werden. Ihnen geht es nicht darum, das Geschlecht zu wechseln, sondern darum, gar keinem Geschlecht zugeordnet zu werden. Wer mehr zu diesem Themenkomplex wissen will, dem sei das Dossier Geschlechtsidentität auf den Seiten der Bundeszentrale für Politische Bildung empfohlen.

Diskussionen dieses Themas werden durch eine bislang nicht allgemein als gültig anerkannte Begrifflichkeit erschwert. Aus der Medizin stammt der Begriff der Intersexualität. Er wird verwendet, wenn genetisch, anatomisch und hormonell eine eindeutige Zuordnung zum weiblichen oder zum männlichen Geschlecht nicht möglich ist. Da der Begriff der Intersexualität eine Pathologisierung, also die Zuschreibung eines krankhaften Zustandes, beinhaltet, ist dieser Begriff für viele Betroffene nicht akzeptabel. Sie verwenden die Begriffe intersexuelle oder intergeschlechtliche Menschen, Intersex, Hermaphroditen, Herms, Zwitter oder Inter*. Manchmal ist auch die Rede von Drittem Geschlecht oder Dritter Option.

Viele intersexuelle Menschen sind Transgender. Dieser Begriff bezeichnet Menschen, die die Zuordnung ihres Geschlechts als falsch oder unzureichend empfinden oder die es ablehnen, einem Geschlecht zugeordnet zu werden. Der Begriff der transsexuellen Menschen bezeichnet Menschen, die sich selbst einem anderen Geschlecht als dem bei der Geburt festgestellten zugehörig fühlen.

Aus dem englischsprachigen Raum kommen die Begriffe genderqueer (GQ) oder non-binary als Auffangbegriff für alle Geschlechtsidentitäten außerhalb des dualen Mann-Frau-Schemas, sei es weil die Person sich überlappende oder unklare Geschlechtsidentitäten hat, sei es weil die Person sich mehreren Geschlechtern oder gar keinem Geschlecht zugehörig fühlt, sei es, weil die Person zwischen mehreren Geschlechtern flukturiert oder sie sich einem dritten Geschlecht zugehörig fühlt.

Kennzeichen von Queer-Politik ist es, die Orientierung der Rechts- und Gesellschaftsordnung an der Bipolarität der Geschlechter und dem Ideal der Heterosexualität aufzulösen und es zu ermöglichen, dass die unterschiedlichsten sexuellen und Geschlechtsidentitäten sowie Beziehungsvorstellungen gelebt werden können.

Die Zuordnung zu einem bestimmten Geschlecht erfolgt durch Eintragung des Geschlechts in das Geburtsregister und die Geburtsurkunde. Im Übrigen spiegelt sich die Zuordnung zu einem Geschlecht im Vornamen. Die Rechtsgrundlagen dafür finden sich im Personenstandsrecht und im Namensrecht. Für an diesen Rechtsgebieten Interessierte gibt es das Informationsportal des Bundesministeriums des Innern Personenstandsrecht, Öffentliches Namensrecht und Transsexuellenrecht, das sich allerdings weniger an den Bürger als an den Standesbeamten richtet. Hier findet man die wichtigsten Vorschriften.

Wie gehen nun das Personenstandsrecht und das Namensrecht mit intersexuellen Personen um?

Personenstandsrecht

Keine Angabe des Geschlechts intersexuell Geborener im Geburtsregister

Bei intersexuellen Menschen, bei denen aus medizinischer Sicht, also genetisch, anatomisch oder hormonell keine eindeutige Zuordnung zu einem Geschlecht möglich ist, treffen bereits die Eltern auf eine unbefriedigende Rechtslage. Nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 des Personenstandgesetzes (PStG) ist nämlich in das Geburtsregister das Geschlecht des Kindes einzutragen, nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 unter anderem der Vornamen. Aber welches Geschlecht und welcher Vorname?

Zum Vornamen später. Hinsichtlich des Geschlechtes scheint § 22 Abs. 3 des Personenstandgesetzes zu helfen. Nach dieser Vorschrift ist der Personenstandsfall ohne Angabe des Geschlechts in das Geburtenregister einzutragen, wenn das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann. Wer aber bestimmt, ob das der Fall ist? Was ist, wenn die Eltern der Meinung sind, das Geschlecht lasse sich bestimmen, aber die Ärzte sind anderer Meinung? Oder umgekehrt?

Nach Nr. 22.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz (PStG-VwV) setzt eine Eintragung ohne Angabe des Geschlechts voraus, dass sich aus der Geburtsanzeige ergibt, dass das Kind zum Zeitpunkt der Anzeige weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann. Wie ist das also mit den Geburtsanzeigen? Die sorgeberechtigten Elternteile sind nach § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 I.V.m. § 19 Satz 1 Nr. 1 des Personenstandsgesetzes verpflichtet, dem Standesamt die Geburt binnen einer Woche mündlich anzuzeigen. Nach § 33 Satz 1 Nr. 4 der Personenstandsverordnung (PStV) soll das Standesamt bei mündlicher Anzeige der Geburt eine von einer Ärztin oder einem Arzt oder einer Hebamme oder einem Entbindungspfleger ausgestellte Bescheinigung über die Geburt, soweit sie bei der Geburt zugegen waren, verlangen. Gleichzeitig sind aber nach § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 20 Satz 1 des Personenstandsgesetzes bei Geburten in Krankenhäusern oder sonstigen Einrichtungen, in denen Geburtshilfe gleistet wird, diese Einrichtungen zur Anzeige verpflichtet. Diese Anzeigepflicht der Krankenhäuser und Geburtshilfeeinrichtungen lässt jedoch die Anzeigeberechtigung der Eltern unberührt. Diese bleiben auch verpflichtet, die Angaben zu machen, die das Krankenhaus oder die Geburtshilfeeinrichtung nicht machen kann (§ 20 Satz 3 des Personenstandsgesetzes). Was also, wenn es hier Divergenzen zwischen Ärzten und Eltern gibt? Dann muss das Standesamt von Amts wegen ermitteln, ob und inwieweit eine bzw. die Geburtsanzeige richtig ist. Grundlage für Eintragungen in den Personenstandsregistern können auch eigene Ermittlungen des Standesamtes sein (§ 9 Abs. 1 des Personenstandsgesetzes). Und nach § 46 des Personenstandsgesetzes sind unrichtige oder unvollständige Angaben in der schriftlichen Anzeige einer Geburt zu ändern, wenn der richtige oder vollständige Sachverhalt durch öffentliche Urkunden oder auf Grund eigener Ermittlungen des Standesamts festgestellt worden Im Rahmen der Amtsermittlung kann der Standesbeamte auch Gutachten einholen.

Nachträgliche Angabe eines Geschlechts intersexuell Geborener

Nach § 27 Abs. 3 Nr. 4 des Personenstandsgesetzes sind Folgebeurkundungen zum Geburtseintrag über die nachträgliche Angabe oder Änderung des Geschlechts des Kindes vorzunehmen. Die eine Fallkonstellation ist klar: War nach der Geburt eine eindeutige Zuordnung zu einem Geschlecht nicht möglich, ist eine solche aber aufgrund nachträglicher Untersuchungen oder medizinischer Maßnahmen nunmehr möglich, wird das Geschlecht eingetragen. Diesen Fall hat auch Nr. 27.8.1 Satz 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Namensänderung im Auge: „Wird im Falle einer Beurkundung der Geburt ohne Angabe des Geschlechts des Kindes durch eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesen, dass das Kind nunmehr einem Geschlecht zugeordnet werden kann, so ist hierüber eine Folgebeurkundung einzutragen“.

Eine Folgebeurkundung nach § 27 Abs. 3 Nr. 4 des Personenstandsgesetzes sollte jedoch auch dann möglich sein, wenn das intersexuelle geborene Kind, auch wenn eine eindeutige Zuordnung zu einem bestimmten Geschlecht aus medizinischer Sicht weiterhin unmöglich bleibt, sich für ein Geschlecht entscheidet. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 BvR 3295/07 ‑ zum Transsexuellengesetz aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes, die auch die sexuelle Selbstbestimmung sowie das Finden und Erkennen der eigenen sexuellen Orientierung schützen, abgeleitet, dass es einer transsexuellen Person möglich sein müsse, entsprechend dem empfundenen Geschlecht zu leben, ohne in ihrer Intimsphäre durch den Widerspruch zwischen ihrem dem empfundenen Geschlecht angepassten Äußeren und ihrer rechtlichen Behandlung bloßgestellt zu werden und deshalb die Rechtsordnung insbesondere so auszugestalten sei, dass die rechtliche Zuordnung zum nachhaltig empfundenen Geschlecht nicht von unzumutbaren Voraussetzungen abhängig gemacht werde. Diese Rechtsprechung lässt sich auch auf intersexuelle Personen übertragen. Soweit also Nr. 27.8.1 Satz 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Namensänderung für eine Folgebeurkundung nach § 27 Abs. 3 Nr. 4 des Personenstandsgesetzes eine ärztliche Bescheinigung voraussetzt, ist das mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar.

Korrektur der bereits bei der Eintragung nach der Geburt fehlerhaften Zuordnung intersexuell Geborener zu einem Geschlecht

22 Abs. 3 des Personenstandsgesetzes hilft auch intersexuellen Personen, bei deren Geburt diese Vorschrift noch nicht in Kraft war. Und er hilft auch den Personen, bei deren Geburt fälschlicherweise ein Geschlecht eingetragen worden war, z.B., weil Ärzte und Eltern es unisono für erforderlich hielten, dem intersexuell geborenen Kind ein Geschlecht zuzuordnen.
In letzterem Fall war die Eintragung von Anfang an falsch. Erfolgte die Eintragung aufgrund einer schriftlichen Geburtsanzeige der Klinik oder der Geburtshilfeeinrichtung kann der intersexuelle Mensch eine Berichtigung des Geburtsregisters nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 des Personenstandsgesetzes beantragen. Bei Geburtseintrag allein aufgrund mündlicher Geburtsanzeige bleibt ihm nur ein Berichtigungsantrag an das Gericht nach § 48 des Personenstandsgesetzes.

Gleiches gilt auch für den Fall, dass der Registereintrag zwar nach heutiger Rechtslage fehlerhaft wäre, weil seit der Geburt die eindeutige Zuordnung zu einem Geschlecht nach medizinischen Kriterien nicht möglich war und ist, andererseits aber ein Geschlecht eingetragen werden musste, weil § 22 Abs. 3 des Personenstandsgesetzes noch nicht in Kraft war. Das ist rechtlich allerdings nicht ganz unproblematisch. Die Vorschriften des Personenstandsgesetzes über Berichtigungen setzen nämlich von Anfang an, also zum Zeitpunkt der Eintragung unzulässige, rechtlich oder tatsächlich unrichtige oder unvollständige Eintragungen voraus (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.10.1987 – IVb ZB 141/86 -). Entsprechend könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass nur Registereinträge, die nach dem zum Zeitpunkt der Eintragung geltenden Recht unrichtig waren, berichtigt werden können. Die Grundsätze der Registerklarheit und ‑wahrheit sprechen aber eher dafür, dass bei Gesetzesänderungen über die Inhalte der Register die Registerinhalte der neuen Rechtslage angepasst werden. Entscheidend ist jedoch, dass auch dann eine von Anfang an tatsächlich unrichtige Eintragung vorliegt, wenn das Gesetz aufgrund einer Regelungslücke eine tatsächlich richtige Eintragung nicht zuließ.

Nachträgliche Angabe fehlender Zugehörigkeit zu einem Geschlecht bei anfänglich richtigem Registereintrag

Was aber ist mit den Fällen, in denen aufgrund der Geburtsanzeige richtigerweise, weil nach medizinischen Kriterien eindeutig zuordenbar, ein Geschlecht eingetragen wurde, sich aber im Laufe der Zeit eine intersexuelle Identität entwickelt hat?

22 Abs. 3 des Personenstandgesetzes hilft jetzt nicht weiter. Diese Vorschrift bezieht sich alleine darauf, dass das Kind genetisch, anatomisch und hormonell keinem Geschlecht eindeutig zugeordnet werden kann. Ihr Anwendungsbereich ist der Geburtseintrag. Das ergibt sich auch ausdrücklich aus den Gesetzesmaterialien, nämlich aus der Beschlussempfehlung des Innenausschusses (vgl. Bundestags-Drucksache 17/12192 S. 11). Zu diesem Zeitpunkt lässt sich natürlich über die Entwicklung einer intersexuellen Identität trotz eindeutig Zuordnung zu einem Geschlecht nichts sagen. Das entspricht auch der herkömmlichen Auffassung, derzufolge es sich beim Geschlecht im Sinne des personenstandsrechts um eine Eintragung handelt, die auf objektiv zu bestimmenden Tatsachen zu registrieren ist.

Auch die oben erwähnte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2011 zum Transsexuellengesetz hilft nicht weiter. In der obigen Fallkonstellation ging es darum, dass sich ein intersexuell geborener Mensch dafür entscheidet, einem bestimmten Geschlecht zugeordnet zu werden – im besten Fall natürlich deshalb, weil er auch eine entsprechende Geschlechtsidentität ausgebildet hat. Vorliegend geht es dagegen darum, dass ein Mensch der genetisch, anatomisch und hormonell eindeutig einem bestimmten Geschlecht zugeordnet werden kann, sich gegen die Zuordnung zu einem Geschlecht entscheidet, weil er eine intersexuelle Identität entwickelt hat. Mit dem Transsexuellengesetz hat der Gesetzgeber zwar einen Geschlechtswechsel nach die äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriffen ermöglicht. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Möglichkeit erweitert auf einen Geschlechtswechsel aufgrund der Entwicklung einer sexuellen Identität des anderen Geschlechts ohne operativen Eingriff. Nicht ermöglicht hat der Gesetzgeber aber eine der Entwicklung einer intersexuellen Identität entsprechenden personenstandsrechtlichen Eintragungsmöglichkeit jenseits eines Geschlechts bei nicht intersexuell Geborenen.

Personenstandsrechtlicher Regelungsbedarf

Hier ist der Gesetzgeber gefragt, personenstandsrechtlich zu helfen, indem er eine dritte Option neben der Zuordnung zum weiblichen oder männlichen Geschlecht einräumt. Der verfassungsrechtliche Schutz der sexuellen Selbstbestimmung sowie des Findens und Erkennens der eigenen sexuellen Orientierung durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes drängen den Gesetzgeber hier tätig zu werden. Er hat im Zusammenhang mit § 22 Abs. 3 des Personenstandsgesetzes sowieso einiges zu regeln. Diese 2013 mit dem Gesetz zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften (Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – PStRÄndG) eingeführt Vorschrift war nicht im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthalten, sondern geht auf eine Beschlussempfehlung des Innenausschusses (vgl. Bundestags-Drucksache 17/12192 S. 11) zurück. Wie das manchmal so ist, wenn eine Regelung nicht von der Ministerialverwaltung vorbereitet worden ist, sondern die Abgeordneten selbst Gesetze entwerfen, fehlt es an einer Reihe erforderlicher Folgeregelungen, z.B.: Welche Folgen hat es, wenn die intersexuelle Person sich nicht für ein Geschlecht entscheidet? Kann eine intersexuelle Person ohne Geschlechtszuordnung heiraten – und zwar einen Partner welchen Geschlechts? Kann sie ein Kind adoptieren? Einen Namen welchen Geschlechts darf sie führen? Und vieles mehr …

Der Bundesrat hat den Regelungsbedarf erkannt. Er hat anlässlich der auf die Änderung des Personenstandsgesetzes folgenden Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz (PStG-VwV-ÄndVwV) im Jahre 2014 folgende Entschließung gefasst (Bundesrat-Drs. 29/3/14):

„Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die Regelungen unter anderem des Personenstandsgesetzes zu überprüfen und unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Ethikrates vom 23. Februar 2012, der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie der Belange der betroffenen Menschen einen Gesetzentwurf vorzulegen.

Ziel muss es sein, inter-und transsexuelle Menschen als Teil gesellschaftlicher Vielfalt zu respektieren, zu unterstützen und sie vor medizinischen Fehlentwicklugen und Diskriminierungen der Gesellschaft zu schützen.

Dazu gehört die rechtliche Umsetzung unter anderem auch im Personenstandsrecht. In seiner Stellungnahme gibt der Ethikrat gerade zum Personenstandsrecht explizit Empfehlungen ab. Im Rahmen der Beratungen in den Ausschüssen des Bundesrates wurde deutlich, dass diesen Empfehlungen des Ethikrates nicht ausreichend nachgekommen werden konnte.

Die Eintragungen in den Personenstandsregistern dürfen zurzeit nur auf Basis gesicherter Erkenntnisse erfolgen; dem Anliegen der betroffenen Menschen kann damit nicht Rechnung getragen werden. Raum für die geforderte Selbstbestimmung besteht insoweit gerade nicht. Zum Beispiel kann nur bei einer geringen Zahl der Fälle Intersexualität bereits bei der Geburt erkannt werden. Hier müssen alternative Regelungsmöglichkeiten und Folgeregelungen vorgesehen werden gegebenenfalls bis hin zu einem Verzicht auf eine Eintragung des Geschlechts in das Personenstandsregister“.

Die Empfehlungen des Deutschen Ethikrates zu Änderungen des Personenstandsrechts finden Sie in seiner Stellungnahme zur Intersexualität.

Namensrecht

Das Namensrecht ist für intersexuelle Menschen in Bezug auf ein Leben entsprechend ihrer (inter-)sexuellen Identität viel bedeutsamer als das Personenstandsrecht. Im täglichen, im außeramtlichen Leben wird ein Mensch nicht anhand seines Eintrages über sein Geschlecht im Geburtsregister einem Geschlecht zugeordnet, sondern anhand seines äußeren Erscheinungsbildes und vor allem anhand seines Vornamens. Jeder weiß, welche Vornamen welchem Geschlecht entsprechen. Dieses bipolare Namenssystem haben wir so sehr verinnerlicht, dass wir einen Augenblick die Orientierung verlieren, wenn ein Mann vor uns steht, der sich als Elisabeth vorstellt.

Geschlechtsneutrale Vornamen

Es gibt nur wenige Vornamen, denen wir ein Geschlecht nicht eindeutig entnehmen können. So wird der Name Maria in einigen katholisch geprägten Gebieten oftmals als Mittelname neben einem eindeutig männlichen Vornamen verwendet. Das bringt die religiöse Verehrung der Jungfrau Maria als Mutter Gottes zum Ausdruck. Im Zuge der Liberalisierung des Namensrechts wird allerdings zunehmend vom Kanon der hergebrachten Vornamen abgewichen. Es können z.B. mehrdeutige Kurzformen von Vornamen wie Chris, Dan, Ulli oder Michi geführt werden, die das Geschlecht nicht mehr erkennen lassen. Eine Bereicherung sind Unisex-Vornamen aus anderen Ländern, z.B. Bälter, Curly oder Frana. Manche Vornamen sind doppeldeutig, weil sie in unterschiedlichen Sprachräumen auf ein anderes Geschlecht hindeuten. So ist z.B. Elisa die Kurzform von Elisabeth, aber auch ein biblischer männlicher Name. Cato ist die niederländische Kurzform von Katharina und ein lateinischer Vorname für Männer. Auch Ida und Merle fallen in diese Kategorie. Im Übrigen werden Phantasienamen zunehmend zulässig. Wissen Sie welches Geschlecht Hope oder Sidney haben?

Solche geschlechtsneutralen Vornamen eignen sich natürlich hervorragend für Menschen, die nicht auf ein Geschlecht festgelegt werden wollen.

Zulässigkeit der Wahl geschlechtsneutraler Vornamen bei der Geburt

Dass es zulässig ist, einen geschlechtsneutralen Vornamen bei der Geburt zu wählen, hat mittlerweile das Bundesverfassungsgericht geklärt. Früher fand sich in § 262 Abs. 4 der Dienstanweisung für die Standesbeamten und ihre Aufsichtsbehörden ‑ DA ‑ folgende Anweisung:

„Für Knaben sind nur männliche, für Mädchen nur weibliche Vornamen zulässig. Nur der Vorname Maria darf Knaben neben einem oder mehreren männlichen Vornamen beigelegt werden. Lässt ein Vorname Zweifel über das Geschlecht des Kindes aufkommen, so ist zu verlangen, dass dem Kinde ein weiterer, den Zweifel ausschließender Vorname beigelegt wird.“

Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit Beschluss vom 5. Dezember 2008 – 1 BvR 576/07 ‑ dagegen zur Zulässigkeit geschlechtsneutraler Vornamen, im konkreten Fall ging es um „Kiran“, bei der Namensgebung anlässlich der Geburt anders positioniert: Dem Recht der Eltern zur Vornamenswahl dürfe allein dort eine Grenze gesetzt werden, wo seine Ausübung das Kindeswohl zu beeinträchtigen drohe. Der Staat sei nur berechtigt und verpflichtet, das Kind als Grundrechtsträger vor verantwortungsloser Namenswahl durch die Eltern zu schützen. Der Entscheidung der Eltern komme für die Persönlichkeit des Kindes deswegen Bedeutung zu, weil der Name ihm verhelfe, seine Identität zu finden und seine Individualität zu entwickeln. Der Gesetzgeber habe keinen Grundsatz geregelt, wonach der von den Eltern für ihr Kind gewählte Vorname über das Geschlecht des Kindes informieren müsse. Bei der Dienstanweisung für Standesbeamte und ihre Aufsichtsbehörden handele es sich um eine bloße Verwaltungsvorschrift ohne Gesetzescharakter. Soweit dem Vornamen für die Persönlichkeit des Kindes Bedeutung zukomme, weil er dem Kind helfe, seine Identität zu finden und seine Individualität zu entwickeln, sei von einer Gefährdung des Kindeswohls allenfalls dann auszugehen, wenn der gewählte Vorname dem Kind offensichtlich und nach keiner Betrachtungsweise die Möglichkeit biete, sich anhand des Vornamens mit seinem Geschlecht zu identifizieren.

Mit anderen Worten: Unzulässig kann allein die Wahl eines über das biologische Geschlecht täuschenden Vornamens sein. Also z.B. die Wahl eines weiblichen Vornamens für einen Menschen männlichen Geschlechts. Unproblematisch ist dagegen die Wahl eines geschlechtsneutralen Vornamens für Menschen weiblichen oder männlichen Geschlechts.

Die bereits erwähnte Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz, die im Jahre 2010 die Dienstanweisung für die Standesbeamten und ihre Aufsichtsbehörden – DA – ersetzt hat, enthält dementsprechend keine Regelungen mehr über den Geschlechtsbezug von Vornamen.

Zulässigkeit der Wahl geschlechtsneutraler Vornamen bei einer Namensänderung

Nach § 3 Abs. 1 i.V. mit § 11 des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (NamÄndG) können Vornamen geändert werden, wenn ein wichtiger Grund dies rechtfertigt. Der wichtige Grund im Sinne des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen liegt in dem verfassungsrechtlichen Anspruch aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG auf die rechtliche Anerkennung ihres empfundenen Geschlechts, ihrer entwickelten geschlechtlichen Identität. Man kann den wichtigen Grund aber auch auf der Linie der klassischen Gründe für eine Namensänderung mit dem seelischen Leiden begründen, das durch die mit Führung des geschlechtsbezogenen Vornamens verbundene, der entwickelten geschlechtlichen Identität zuwiderlaufenden, ungewollten Zuordnung zu einem Geschlecht verursacht wird.

Nun enthält zwar nicht das Namensänderungsgesetz selbst, aber die das Näheres regelnde Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (NamÄndVwV) in Nr. 67 eine die Zulässigkeit der Wahl eines geschlechtsneutralen neuen Vornamens ausschließende Regelung:

„Für Personen männlichen Geschlechts sind nur männliche, für Personen weiblichen Geschlechts nur weibliche Vornamen zulässig. Nur der Vorname Maria darf Personen männlichen Geschlechts neben einem oder mehreren männlichen Vornamen beigelegt werden.“

Diese Regelung ist aber wiederum nach den Grundsätzen der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unwirksam: Eine Begrenzung der im Zuge einer Namensänderung möglichen Vornamen bedarf aufgrund der Persönlichkeitsrechtsrelevanz einer solchen Begrenzung einer gesetzlichen Grundlage. Daran fehlt es. Das Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen selbst begrenzt die Vornamensänderung nicht auf geschlechtsbezogene Vornamen. Und die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (NamÄndVwV) hat eben als bloße Verwaltungsvorschrift keinen Gesetzescharakter und kann deshalb eine Einschränkung der Vornamenswahl nicht rechtfertigen. Auch im Übrigen gelten die in der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Grundsätze entsprechend. Denn der in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts maßgebliche Aspekt des Prüfungsmaßstabs des Elternrechts war die treuhänderische Wahrnehmung des Persönlichkeitsrechts des Kindes. Für dessen selbstbestimmte Ausübung können keine geringeren Anforderungen gelten. Dass Nr. 67 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (NamÄndVwV) bislang noch nicht gestrichen worden ist, ist nicht nachvollziehbar.

Vornamensgebung bei intersexuell Geborenen bei der Geburt

Bei der Anzeige der Geburt sind die Vornamen des Kindes anzugeben, damit diese nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 im Geburtenregister beurkundet werden können. Das Recht zur Bestimmung der Vornamen ergibt sich aus der Personensorge der Sorgeberechtigten. Nach § 22 des Personenstandsgesetzes müssen die Vornamen binnen eines Monats mündlich oder schriftlich angezeigt werden. Die Eltern eines intersexuell geborenen Kindes haben also einen Monat Bedenkzeit. Diese ist oftmals viel zu kurz, um aus medizinischer Sicht überhaupt belastbar feststellen zu können, ob das Kind eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden kann. Im Zweifelsfall sind also die Eltern mit der Angabe eines geschlechtsneutralen Vornamens nicht schlecht beraten.

Vornamensgebung bei nicht intersexuell Geborenen bei der Geburt

Wie dargestellt kann auch bei nicht intersexuell geborenen Kindern ein geschlechtsneutraler Vorname gegeben werden. Ob man das tun sollte, um dem Kind alle Optionen geschlechtlicher Identitätsentwicklung offen zu halten, ist eine Frage der Weltanschauung.

Korrektur des bei der Eintragung nach der Geburt gewählten geschlechtsbezogenen Vornamens eines intersexuell Geborenen

Wurde einem intersexuell geborenen Kind bei Geburt ein geschlechtsbezogener Vorname gegeben, kann dieser nur im Wege der Namensänderung geändert werden. Hat der intersexuell Geborene zwischenzeitlich eine geschlechtliche Identität entwickelt, die dem anderen als dem durch den Vornamen zugeordneten Geschlecht entspricht, kann er einen Vornamen des anderen Geschlechts wählen. Im Übrigen bleibt immer die Wahl eines geschlechtsneutralen Vornamens möglich.

Wünschenswert wäre es, wenn in den Fällen, in denen das Geschlecht eines intersexuell Geborenen nach § 27 Abs. 3 Nr. 4 des Personenstandsgesetzes im Wege einer Folgebeurkundung eingetragen wird, der Vorname, wenn es erforderlich sein sollte, ebenfalls im Wege einer Folgebeurkundung an das nunmehr feststehende Geschlecht angepasst werden kann. Nr. 27.8.1 verweist konform der geltenden Rechtslage an die zuständige Namensänderungsbehörde. Der Bundesrat hat den Regelungsbedarf erkannt. Er hat anlässlich der auf die Änderung des Personenstandsgesetzes folgenden „Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz (PStG-VwV-ÄndVwV) im Jahre 2014 folgende Entschließung gefasst (Bundesrat-Drs. 29/2/14):

„Der Bundesrat bittet die Bundesregierung zeitnah eine Gesetzesänderung in die Wege zu leiten, um sicherzustellen, dass bei späterer erstmaliger Eintragung des Geschlechts eines intersexuellen Kindes auch die in diesem Zusammenhang ‑ gegebenenfalls erforderliche ‑ Änderung des Vornamens an das dann feststehende Geschlecht nicht im Wege eines öffentlich-rechtlichen Namensänderungsverfahrens durchgeführt werden muss.“

Korrektur des bei der Eintragung nach der Geburt gewählten geschlechtsbezogenen Vornamens bei Entwicklung einer intersexuellen Identität

In den Fällen, in denen aufgrund der Geburtsanzeige richtigerweise, weil nach medizinischen Kriterien eindeutig zuordenbar, ein Geschlecht und ein entsprechender geschlechtsbezogener Vorname eingetragen wurde, sich aber im Laufe der Zeit eine intersexuelle Identität entwickelt, ist die Änderung des Vornamens in einen geschlechtsneutralen Vornamen nach dem Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (NamÄndG) möglich. Dafür streiten die oben erwähnten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2008 und 2011 zur Zulässigkeit eines geschlechtsneutralen Vornamens und zum Transsexuellengesetz.

Das Transsexuellengesetz selbst ist nicht anwendbar, da dieses voraussetzt, dass sich eine Person auf Grund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht, sondern dem anderen Geschlecht als zugehörig empfindet. Ihm kann auch nicht entnommen werden, dass eine Namensänderung für Transgender-Personen ausgeschlossen werden sollte.

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Fazit

Das Namensänderungsrecht bietet intersexuellen Menschen im Grunde alle Möglichkeiten, einer der sexuellen Identität entsprechenden Namensführung. Das Personenstandsrecht hinkt weit hinterher. Reformbedarf besteht allerorten – und zwar weit über das hier Thematisierte hinaus.

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